Weiterer Schritt bei der Suche nach dem neutrinolosen Doppelbetazerfall

The germanium detectors of GERDA.
Image: GERDA Collaboration

Das GERDA-Experiment (GERmanium Detector Array) im Untergrundlabor Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS) des INFN in Italien berichtet über sein Endergebnis der Suche nach dem neutrinolosen Doppelbetazerfall (0νββ) von Germanium-76 in der neuesten Ausgabe von Physical Review Letters [1]. Ein Signal wurde nicht beobachtet, aber alle Ziele der letzten Phase des Experiments wurden erreicht.

Die Untergrenze für die Halbwertszeit des neutrinolosen Doppeltbetazerfalls (0νββ) von 76Ge beträgt 1,8 × 10exp26 Jahre, so das Endergebnis von GERDA. Dieser Wert stimmt mit dem erwarteten Wert für die Empfindlichkeit des Experiments überein; ein höherer Wert für den Zerfall eines 0νββ-Isotops wurde nie zuvor gemessen.

Die berichtete Hintergrundsignalrate von 5,2 × 10exp-4 counts/(kg∙yr∙keV) im Signalbereich steht ebenfalls keiner anderen auf dem Gebiet nach, was nicht nur die Durchführbarkeit eines hintergrundfreien Experiments bei hoher Exposition demonstriert, sondern auch die Grundlagen liefert für ein Experiment der nächsten Generation mit wesentlich höherer Empfindlichkeit.

Der hypothetische 0νββ-Zerfall ist ein Prozess jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik: zwei Neutronen in einem Kern, hier 76Ge, wandeln sich gleichzeitig in zwei Protonen und zwei Elektronen („Betateilchen“) um, und zwar ohne die übliche Emission von zwei Antineutrinos. Seine Entdeckung hätte erhebliche Folgen für Teilchenphysik und Kosmologie: der Nachweis von Leptonzahl-Verletzung und der Majorana-Natur der Neutrinos, also der Identität von Neutrinos und Antineutrinos, den Zugang zur Neutrino-Massenskala und ein wichtiger Hinweis zum Verständnis, warum es so viel mehr Materie als Antimaterie im Universum gibt.

Bereits vor gut 50 Jahren stand die Leptonzahl-Verletzung im Fokus der ersten Suche nach dem 0νββ-Zerfall mit einem Detektor aus 0,1 kg Germanium, den eine Gruppe aus Mailand wegen seiner hervorragenden intrinsischen Energieauflösung gewählt hatte [2]. Seitdem konnte die Empfindlichkeit um einen Faktor von einer Million gesteigert werden. Entscheidend auf diesem Weg war eine kontinuierliche Zunahme der Masse des Detektors, der gleichzeitig die Quelle des Zerfalls ist, auch durch Anreicherung des Isotops 76Ge von natürlichen 7,8% auf fast 90%. Dazu kam eine ständige Reduktion des Hintergrunds im Signalbereich, insbesondere durch Betreiben der Experimente tief im Untergrund, um die kosmische Strahlung abzuschirmen.

Das GERDA-Experiment war seit 2011 im Gran-Sasso-Untergrundlabor (LNGS) in Italien in Betrieb, unter Gestein entsprechend 3500 m Wasser. In der Schlussphase enthielt es 42 Germaniumdetektoren mit zusammen 44,2 kg bei einer Anreicherung von 86-88% 76Ge. Eine Reihe von Neuentwicklungen war der Schlüssel zum Erfolg: Anders als in vorherigen Experimenten wurden die Ge-Detektoren ohne Einkapselung in einem Kryostaten mit flüssigem Argon (LAr) betrieben, der sich in einem instrumentierten Wassertank zur Abschirmung gegen Photonen, Neutronen und Myonen befand. Das LAr sorgte für Kühlung und Abschirmung und half außerdem, die Menge an Montagematerial zu verringern, das trotz sorgfältiger Auswahl immer noch einen winzigen Rest radioaktiver Verunreinigungen enthält.

Zur aktiven Abschirmung war das LAr mit Lichtsensoren bestückt, die anzeigten, wenn Signale im Ge-Detektor von radioaktivem Hintergrund stammten. Auch der zeitliche Verlauf der Detektorsignale liefert eine ähnliche Information. Die GERDA-Kollaboration hat Detektoren mit neuartigem Design eingesetzt und Analysemethoden entwickelt, um das Optimum aus dieser Hintergrundreduktionstechnik herauszuholen.

Aus den Erfahrungen mit GERDA resultiert die Erwartung, dass eine weitere Reduktion des Hintergrunds erreichbar ist, sodass ein hintergrundfreies Experiment mit noch größerer Quellstärke bzw. Exposition möglich wird. Die LEGEND-Kollaboration [3] strebt an, die Empfindlichkeit für die Halbwertszeit des 0νββ-Zerfalls auf 10exp28 Jahre zu steigern. In einer ersten Phase wird sie 200 kg angereicherte Ge-Detektoren in der leicht modifizierten GERDA-Infrastruktur einsetzen und die Messungen 2021 starten.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Bernhard Schwingenheuer (stellv. Sprecher der GERDA-Kollaboration)
Tel.: +49 6221 516-614
E-Mail: bernhard.schwingenheuer@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Dr.h.c. Manfred Lindner
Tel.: +49 6221 516-800
E-Mail: lindner@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Werner Hofmann
Tel.: +49 6221 516-330
E-Mail: werner.hofmann@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Jim Hinton
Tel.: +49 6221 516-140
E-Mail: jim.hinton(at)mpi-hd.mpg.de

Originalpublikation:

[1] Final results of GERDA on the search for neutrinoless double-beta decay, GERDA collaboration, Phys. Rev. Lett. 125, 252502 (2020), DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.252502 (arXiv: 2009.06079)

[2] A Search for Lepton Nonconservation in Double Beta Decay with a Germanium Detector, E. Fiorini et al., Phys. Lett. 25B (1967) 602-603

[3] The Large Enriched Germanium Experiment for Neutrinoless Double Beta Decay (LEGEND), LEGEND collaboration, AIP Proc. 1894 020027 (2017), DOI: 10.1063/1.5007652 (arXiv:1709.01980)

http://www.mpi-hd.mpg.de

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