Wechselspiel freier Elektronen
Maßgeschneiderte Elektronenpulse für verbesserte Elektronenmikroskopie.
Elektronenmikroskope liefern vielseitige Einblicke in den Nanokosmos, doch ihre Auflösung wird durch die gegenseitige Abstoßung der Elektronen begrenzt. Göttinger Forschenden gelang es nun, den Einfluss dieser Wechselwirkungen genau zu vermessen. Dabei entdeckten sie einen „energetischen Fingerabdruck“, bei dem die Verteilung der Geschwindigkeiten der Elektronen sehr charakteristisch für ihre jeweilige Anzahl ist. Mit dieser Erkenntnis entwickelten sie ein Verfahren, dass die Leistung etablierter Elektronenmikroskope steigern könnte und neue Messverfahren auf der Basis gekoppelter Elektronen ermöglicht.
Unser Verständnis der Vorgänge im Nanokosmos hängt maßgeblich von der Leistungsfähigkeit moderner Mikroskopie ab. So erzielen sogenannte Transmissionselektronenmikroskope heute routinemäßig atomare Auflösung. Diese Mikroskope durchstrahlen ein untersuchtes Objekt mit Elektronen, um – ähnlich einem Lichtmikroskop – ein Bild zu gewinnen. Elektronenmikroskope machen so beispielsweise die Struktur von Molekülen, den atomaren Aufbau von Festkörpern oder die Form von Nanopartikeln sichtbar.
Darstellungen der gemessenen energetischen Fingerabdrücke von gepulsten Elektronenstrahlen mit unterschiedlichen Elektronenzahlen. (c) Rudolf Haindl / Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Kontrast und Auflösung von Elektronenmikroskopen werden jedoch unter anderem durch Wechselwirkungen zwischen den Elektronen begrenzt: Wenn sich zwei Elektronen nahekommen, stoßen sie sich aufgrund der sogenannten Coulomb-Kraft gegenseitig ab. Dies begrenzt die maximale Helligkeit eines nutzbaren Elektronenstrahls. Forschende um Claus Ropers, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, haben nun erstmals die Abstoßung zwischen einzelnen Elektronen im Mikroskop aufgelöst und analysiert. Mithilfe des gewonnenen Verständnisses entwickelten sie Methoden, die sich diese Wechselwirkung einzelner Elektronen zunutze machen.
Abgezählte Elektronen
„Elektronen in einem Strahl sind zufällig verteilt, und so kann man auch die von Coulomb-Kräften eingebrachten Ungenauigkeiten nicht kontrollieren“, sagt Rudolf Haindl, Erstautor der kürzlich im Fachmagazin Nature Physics veröffentlichten Studie. Wenn die Physiker aber die Elektronen mit einem Laser in Form ultrakurzer Pulse erzeugen – eine Art von Elektronenblitzen – entstehen dabei auch Pakete mit genau zwei, drei oder vier Elektronen. Die Elektronen liegen dabei zeitlich und räumlich so nah beieinander, dass sie miteinander wechselwirken. Mithilfe eines Spektrometers und eines speziellen Detektors wird der Energieaustausch zwischen Elektronen in einem Puls sichtbar. „Je nachdem, wie viele Elektronen in einem Puls sind, stoßen die Elektronen sich verschieden stark ab. Dadurch konnten wir für jede Anzahl an Elektronen im Puls einen spezifischen energetischen Fingerabdruck ermitteln“, so Haindl.
Neue Möglichkeiten
Anhand ihrer Erkenntnisse entwickelte die Arbeitsgruppe ein neues Verfahren, um die Mehrelektronenzustände für Messungen in Elektronenmikroskopen nutzbar zu machen. „Wir haben ein Konzept ausgearbeitet, mit dem wir zukünftig Elektronenpulse mit einer festgelegten Elektronenzahl erzeugen können. Dieses kann maßgeblich die Leistung verschiedener Elektronenmikroskope für die Grundlagenforschung oder für technologische Entwicklungen steigern, beispielsweise im Bereich der Halbleiterfertigung“, erklärt Armin Feist, Co-Autor und Physiker in Ropers‘ Team.
Max-Planck-Direktor Ropers ergänzt: „Neben den Auswirkungen auf Anwendungen in der Elektronenmikroskopie und -lithographie gehen wir davon aus, dass diese Elektronen auch quantenmechanisch „verschränkt“, also in ihrem Zustand eng gekoppelt sind, was eine komplett neue Schnittstelle zwischen Elektronenmikroskopie und Quantentechnologie eröffnet.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Claus Ropers
Abteilung Ultraschnelle Dynamik
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Tel.: +49 551 39-39083
E-Mail: claus.ropers@mpinat.mpg.de
Originalpublikation:
Haindl, R., Feist, A., Domröse, T., Möller, M., Gaida, J.H., Yalunin, S.V., Ropers, C.: Coulomb-correlated electron number states in a transmission electron microscope beam. Nat. Phys. 19, 1410–1417 (2023).
https://doi.org/10.1038/s41567-023-02067-7
Weitere Informationen:
https://www.mpinat.mpg.de/4535786/pr_2316 – Original-Pressemitteilung
https://www.mpinat.mpg.de/de/ropers – Webseite der Abteilung Ultraschnelle Dynamik am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie
Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.
Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.
Neueste Beiträge
Neue Therapie bei Hörsturz
UKR sucht Studienteilnehmer… Das Universitätsklinikum Regensburg (UKR) ist als eines von drei Zentren in Bayern an einer Studie zur Behandlung von Hörsturz beteiligt. Die Teilnehmer haben die Chance auf eine…
Schädliche Wirkung von Stresshormonen
… bei akutem Nierenversagen entdeckt. Marburger Pharmakolog*innen entschlüsseln den Effekt von Glukokortikoiden auf den Stoffwechsel geschädigter Nieren. Die menschlichen Nieren sind lebenswichtige Hochleistungs-Organe, die pro Tag rund 180 Liter Blut…
Projekt SmartWin gestartet
… zur Entwicklung kostengünstiger schnell schaltender Verglasungen Die Projektpartner SIONIC Smart Glass GmbH, FITT – Institut für Technologietransfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes gGmbH, ALU-CON Fenster-…