Physiker erzeugen extrem komprimierbares „Licht-Gas“

Forschende der Universität Bonn haben ein Gas aus Lichtteilchen erzeugt, das sich extrem stark komprimieren lässt. Ihre Ergebnisse bestätigen die Vorhersagen zentraler Theorien der Quantenphysik. Sie könnten zudem die Richtung zu neuartigen Sensoren weisen, mit denen sich kleinste Kräfte messen lassen. Die Studie erscheint in der Fachzeitschrift Science.

Wenn man den Auslass einer Luftpumpe mit dem Finger verschließt, kann man ihren Kolben dennoch nach unten drücken. Grund: Gase lassen sich ziemlich leicht komprimieren – im Gegensatz etwa zu Flüssigkeiten. Befände sich in der Pumpe Wasser statt Luft, ließe sich der Kolben auch unter größter Kraftanstrengung kaum bewegen.

Gase bestehen üblicherweise aus Atomen oder Molekülen, die mehr oder weniger schnell durch den Raum schwirren. Ganz ähnlich ist es bei Licht: Seine kleinsten „Bausteine“ sind die Photonen, die sich in mancher Hinsicht wie Teilchen verhalten. Und auch aus diesen Photonen lässt sich ein Gas herstellen. Allerdings eines, das sich etwas ungewöhnlich verhält: Man kann es unter bestimmten Bedingungen fast ohne Kraftaufwand zusammendrücken. Zumindest sagt das die Theorie voraus.

Photonen in der Spiegel-Kiste

Eben diesen Effekt haben die Forscher vom Institut für Angewandte Physik (IAP) der Universität Bonn nun erstmals in der Praxis nachgewiesen. „Wir haben dazu Lichtteilchen in eine winzige Box aus Spiegeln gesperrt“, erklärt Dr. Julian Schmitt vom IAP, der in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Weitz habilitiert. „Je mehr Photonen wir dort hineingaben, desto dichter wurde das Photonengas.“

Im Labor (von links): Leon Espert Miranda, Dr. Julian Schmitt und Erik Busley.
Foto: Volker Lannert/Uni Bonn

Normalerweise gilt: Je dichter ein Gas, desto schwerer lässt es sich komprimieren. Das ist auch bei der verschlossenen Luftpumpe der Fall – anfangs lässt sich der Kolben sehr leicht hinunterdrücken, doch irgendwann lässt er sich auch mit viel Kraft kaum weiterbewegen. Ähnlich war es zunächst auch bei den Bonner Experimenten: Je mehr Lichtteilchen in der Spiegelbox waren, desto schwieriger wurde es, sie zusammenzupressen.

An einem bestimmten Punkt änderte sich das jedoch schlagartig: Sobald das Photonengas eine bestimmte Dichte überschritten hatte, ließ es sich plötzlich fast ohne Widerstand komprimieren. „Dieser Effekt ergibt sich aus den Regeln der Quantenmechanik“, erklärt Schmitt, der auch assoziiertes Mitglied im Exzellenzcluster „Matter and Light for Quantum Computing“ und Projektleiter im Transregio-Sonderforschungsbereich 185 ist. Grund: Die Lichtteilchen besitzen eine gewisse „Unschärfe“ – vereinfacht gesagt, ist ihr Aufenthaltsort etwas „verschmiert“. Wenn sie sich sehr nahe kommen, beginnen die Photonen zu überlappen. Physiker sprechen dann auch von einer „Quantenentartung“ des Gases. Seine Kompression wird durch die Entartung erheblich leichter.

Ordnung im Photonengas

Ist die Überlappung stark genug, verschmelzen die Lichtteilchen zu einer Art Super-Photon, einem Bose-Einstein-Kondensat. Sehr vereinfacht lässt sich dieser Vorgang mit dem Gefrieren von Wasser vergleichen: Im flüssigen Zustand sind die Wassermoleküle relativ ungeordnet; am Gefrierpunkt bilden sich dann erste Kristalle, die schließlich zu einer hoch geordneten Eisschicht zusammenwachsen. Auch kurz vor der Entstehung des Bose-Einstein-Kondensats bilden sich „Inseln der Ordnung“, die sich bei weiterer Zugabe von Photonen immer mehr vergrößern.

Das Kondensat entsteht erst dann, wenn die Inseln so stark gewachsen sind, dass sich die Ordnung über die gesamte Box erstreckt (vergleichbar einem See, auf dem die Eisschollen zu einer kompletten Fläche zusammengewachsen sind). Dazu braucht man bei einer kleinen Box eine viel geringere Anzahl von Lichtteilchen als bei einer großen. „Auch diesen Zusammenhang konnten wir in unseren Experimenten erstmals nachweisen“, betont Schmitt.

Um ein Gas mit variabler Photonenzahl und definierter Temperatur zu erzeugen, verwenden die Forscher eine Art „Wärmebad“: „Wir geben in die Spiegel-Box Moleküle, die die Photonen absorbieren können“, erklärt Schmitt. „Danach strahlen sie neue Photonen ab, die im Mittel die Temperatur der Moleküle haben – in unserem Fall knapp 300 Kelvin, das ist etwa Raumtemperatur.“

Die Forscher mussten noch ein weiteres Problem lösen: Normalerweise sind Photonengase nicht gleichmäßig dicht – an manchen Stellen tummeln sich weitaus mehr Lichtteilchen als an anderen. Dies liegt an der Form der Falle, in die sie üblicherweise eingesperrt werden. „Wir haben in unseren Experimenten einen anderen Ansatz gewählt“, sagt Erik Busley, Erstautor der Publikation. „Wir fangen die Photonen in einer flachen Spiegel-Box, die wir mit Hilfe einer Mikrostrukturierungsmethode erzeugt haben. Damit ist es uns zum ersten Mal gelungen, ein homogenes Quantengas von Photonen zu erzeugen.“

Die quantenverstärkte Komprimierbarkeit des Gases ermöglicht in Zukunft die Forschung an neuartigen Sensoren, mit denen sich noch geringste Kräfte messen lassen könnten. Die Ergebnisse sind aber auch für die Grundlagenforschung von großem Interesse.

Förderung:

Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich TRR 185 „OSCAR – Kontrolle atomarer und photonischer Quantenmaterie durch maßgeschneiderte Kopplung an Reservoire“, den Exzellenzcluster „Matter and Light for Quantum Computing (ML4Q)“, und die Europäische Union im Rahmen des Quantenflaggschiff-Projekts „PhoQuS – Photons for Quantum Simulation“.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Julian Schmitt
Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn
Tel. +49 228 73-60122
E-Mail: schmitt@iap.uni-bonn.de

Originalpublikation:

Erik Busley, Leon Espert Miranda, Andreas Redmann, Christian Kurtscheid, Kirankumar Karkihalli Umesh, Frank Vewinger, Martin Weitz und Julian Schmitt: Compressibility and the Equation of State of an Optical Quantum Gas in a Box; Science; DOI: https://doi.org/10.1126/science.abm2543

http://www.uni-bonn.de/

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