3-D-Röntgenkino: schnelle Bewegungen in Echtzeit
Dreidimensionale Röntgenaufnahmen bilden innere Strukturen ab, verraten aber nichts über Bewegungsabläufe. Konventionelle Computertomografie ist nicht leistungsfähig genug, um Bewegungen räumlich präzise und gleichzeitig in der zeitlichen Dimension abzubilden. Jedes einzelne dreidimensionale Bild, ein sogenanntes Tomogramm, wird aus Hunderten zweidimensionaler Röntgenaufnahmen rekonstruiert.
„Um mit einer derartigen Aufnahmegeschwindigkeit hoch aufgelöste Tomogramme zu produzieren, mussten wir an jeder verfügbaren Stellschraube von der Röntgenquelle bis zum Pixeldetektor drehen und alle Prozessschritte optimal aufeinander abstimmen“, sagt Tomy dos Santos Rolo, der als Doktorand den experimentellen Aufbau maßgeblich entwickelt hat. Indem er die 3-D-Bildfrequenzen den von 2-D-Kinofilmen bekannten Bildraten annäherte, gelang ihm der Weltrekord in Hochgeschwindigkeitstomografie – als echtes 3-D-Kino mit mikroskopischer Vergrößerung.
Für die wissenschaftliche Auswertung ist es wesentlich, dass sich die dreidimensionalen Umrisse der anatomischen Strukturen klar abzeichnen. Das wird durch den sogenannten Phasenkontrast ermöglicht: Durchleuchten hochparallele Röntgenstrahlen das biologische Untersuchungsobjekt, kommt es zu wellenoptischen Phänomenen, die zu einer deutlichen Betonung der inneren und äußeren Konturen führen.
„Auf genau diese Umrisse kommt es uns an. Wir wollen einzelne funktionale Elemente unterscheiden, die sich bei Bewegungen gegeneinander verschieben. Dafür sind wir in erster Linie auf scharfe Konturen angewiesen“, so Alexey Ershov, der Experte für Bildanalyse im Team. Von der Röntgenquelle bis zur fertigen Bewegungsanalyse sind daher alle Prozessstufen auch darauf ausgelegt, Bildrauschen herauszufiltern, ohne die Kontraste zu entschärfen. Das gilt genauso hinsichtlich der für die Röntgendurchstrahlung optimierten mathematischen Algorithmen, die drei räumliche sowie eine zeitliche Dimension rekonstruieren und aus den Daten exakte Bewegungsmuster ableiten.
In Anlehnung an die ersten Bewegtbilder – die Cinematografie – nennen die Wissenschaftler ihr Verfahren „Cinetomografie“. Im ausgehenden 19. Jahrhundert standen die Bewegungen von Großtieren im Fokus. Heute können Forscher die inneren biologischen Prozesse von Kleinorganismen analysieren, wie sie am kürzlich entdeckten Schraubengelenk des Kornkäfers demonstrieren. Insekten, Spinnen und Krebstiere machen über 80 Prozent aller Tierarten aus.
Die Cinetomografie bildet aber nicht nur biologische oder biotechnologische Vorgänge vierdimensional ab, sondern beispielsweise auch für die Industrie relevante Verbrennungsprozesse.
Tomy dos Santos Rolo, Alexey Ershov, Thomas van de Kamp, and Tilo Baumbach: In vivo X-ray cine-tomography for tracking morphological dynamics, PNAS Early Edition (2014), DOI: 10.1073/pnas.1308650111
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