Im Wettlauf mit der Zeit
Je weiter man die Anden hinaufsteigt, umso höher ist der Verwandtschaftsgrad der dort lebenden Schmetterlingsarten. Zu diesem Ergebnis gelangt eine aktuelle Studie zur stammesgeschichtlichen Verwandtschaft von Arten südamerikanischer Falter, die Forscher der Friedrich-Schiller-Universität Jena gemeinsam mit Kollegen aus Dresden und Wien erarbeitet und gerade in der Fachzeitschrift „Ecography“ veröffentlicht haben (doi: 10.1111/j.1600-0587.2013.00030.x).
„Nirgendwo auf der Welt sind die Regenwälder artenreicher als in den tropischen Anden und den angrenzenden Tieflandregenwäldern des Amazonas“, erklärt Dr. Gunnar Brehm vom Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Uni Jena. Seit 1999 bereits reist der Forscher in regelmäßigen Abständen in den Podocarpus-Nationalpark im südlichen Ecuador. Allein von der Schmetterlingsfamilie der Geometridae – zu Deutsch: Spanner – hat der Zoologe dort bislang 1.445 Arten entdeckt. Und dies auf einem Gebiet, das nur ungefähr so groß ist wie die Insel Rügen.
Die letzte Südamerika-Expedition, die Brehm und dessen Kollegin Dr. Yoko Matsumura gemeinsam mit den Studenten Katrin Friedemann und Lars Möckel unternommen haben, war erst Anfang dieses Jahres gewesen. „Jedes Mal, wenn wir dort sind, entdecken wir eine Reihe von Arten, die nie zuvor jemand gesehen oder gefangen hat“, sagt Dr. Brehm. Für die einmalige Artenvielfalt in diesem – noch – grünen Paradies stellt die rasante Zerstörung der Regenwälder aber eine existenzielle Bedrohung dar. Von ihr betroffen sei nicht nur die Umgebung des Podocarpus-Nationalparks. „Jährlich“, erläutert Brehm, „werden in Ecuador viele hundert Quadratkilometer gerodet und abgebrannt.“ Dabei würden nicht nur große Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt. „Auch die hohe Artenvielfalt geht buchstäblich in Rauch auf, bevor man sie wissenschaftlich erfasst hat“, stellt er fest: „Die weitere Erforschung der Fauna und Flora in den tropischen Anden gerät daher zunehmend zu einem Wettlauf mit der Zeit.“
Nur sehr wenige Forschungsergebnisse hierzu nämlich liegen bislang vor – was das Projekt der Jenaer Wissenschaftler gleichsam zu echter Pionierarbeit werden lässt. Dabei sind bereits die bis jetzt gewonnenen Erkenntnisse teilweise verblüffend. So sinkt die Artenvielfalt der Falter nicht etwa mit zunehmender Meereshöhe, wie das gängige Annahmen vermuten lassen. Vielmehr hat sich die Artenvielfalt in 1.000 bis 3.000 Metern über dem Meeresspiegel als gleichbleibend extrem hoch herausgestellt.
Der zudem festgestellte höhere Verwandtschaftsgrad in den hochmontanen Gebieten wiederum gibt Brehm Anlass zu der Vermutung, „dass bei der beschleunigten Auffaltung der Anden in der jüngeren Erdgeschichte nicht alle Faltergruppen gleichzeitig in der Lage gewesen waren, die hohen Lagen zu besiedeln.“ So seien beispielsweise viele Raupen an bestimmte Wirtspflanzen gebunden, die ihrerseits nur in tiefen und mittleren Lagen auftreten. „Andere Gruppen wurden hingegen bei der Besiedlung der montanen Wälder evolutiv erst richtig erfolgreich“, hat Brehm festgestellt. Als Beispiele nennt er Faltergattungen wie „Eois“ und „Eupithecia“, die nicht nur extrem artenreich, sondern untereinander genetisch sehr ähnlich sind. Für Brehm ist das ein Hinweis darauf, dass die Arten erst vor relativ kurzer Zeit entstanden sind.
Originalpublikation:
Brehm G, Strutzenberger P, Fiedler K (early view) Phylogenetic diversity of geometrid moths decreases with elevation in the tropical Andes. Ecography 36: 001–007, 2013, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1600-0587.2013.00030.x/abstract
Kontakt:
Dr. Gunnar Brehm
Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie mit Phyletischem Museum
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Erbertstraße 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 949184
E-Mail: gunnar.brehm[at]uni-jena.de
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