Studie zur Toxizität von Pestiziden in Deutschland sieht Handlungsbedarf

Pestizidrisiken für Bestäuber in Deutschland.
Grafik: RPTU, Sascha Bub, 2023

Pestizidrisiken in Deutschland haben sich über die vergangenen 25 Jahre deutlich geändert, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) in einer kürzlich veröffentlichten Studie berichten.

Die Risiken für Landwirbeltiere nahmen in dieser Zeit ab, die für Fische, Landpflanzen und Bodenorganismen gleichzeitig aber zu. Für andere Organismengruppen gab es keinen eindeutigen Trend. Diese Erkenntnisse sind laut des Forschungsteams insbesondere angesichts des Plans der Europäischen Union (EU) von Bedeutung, Pestizidrisiken bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren.

Wollen die Länder der EU das Ziel erreichen, muss gehandelt werden: „Um Pestizidrisiken auf nationaler oder kontinentaler Ebene zu reduzieren, kann man zum Beispiel geringere Mengen Pestizide einsetzen oder eine gleichbleibende Menge durch weniger toxische Pestizide ersetzen“, erläutert Sascha Bub, Hauptautor der Studie, deren Grundannahme. Basierend auf dieser Annahme haben die Landauer Forscher eine einfache Methode zur Risikoabschätzung entwickelt: „Multipliziert man für jedes in einem Jahr in einem Land genutzte Pestizid dessen angewendete Menge und dessen Toxizität miteinander und summiert danach die Multiplikationsprodukte auf, erhält man über mehrere Jahre wiederholt einen groben Indikator, wie sich Pestizidrisiken entwickeln. Wir nennen diesen Indikator ‚ausgebrachte Gesamttoxizität‘“, erläutert Bub.

Die spezifische Toxizität von Pestiziden gegenüber verschiedenen Organismengruppen unterscheidet sich dabei sehr stark, manchmal um das Milliardenfache. Manche Pestizide sind besonders giftig für Bestäuber, andere dagegen für Bodenorganismen oder Pflanzen. Deswegen haben die Autoren der Studie die ausgebrachte Gesamttoxizität für 292 Pestizide, die zwischen 1995 und 2019 in Deutschland angewendet wurden, für acht Organismengruppen getrennt berechnet und haben dabei 1889 Schwellenwerte aus dem EU-Zulassungsverfahren für Pestizide verwendet.

Das Ergebnis: In Deutschland hat die ausgebrachte Gesamttoxizität über die vergangenen 25 Jahre nur für Landwirbeltiere abgenommen, während sie zur gleichen Zeit für Fische, Landpflanzen und Bodenorganismen zunahm. „Die Zunahme bei den Bodenorganismen verdient Beachtung, denn diese sind maßgeblich an der Aufrechterhaltung der Bodenqualität beteiligt. Zunehmende Risiken für Bodenorganismen könnten sich langfristig auch auf die landwirtschaftliche Produktivität auswirken“, so Bub. Die Zunahme bei den Fischen sei ebenfalls bemerkenswert, da es seit vielen Jahren starke Bemühungen gäbe, die Toxizität von Pestiziden gegenüber Wirbeltieren, also auch Fischen, zu verringern, und sich ein entsprechend abnehmender Trend auch in einer Vorgängerstudie für die USA gezeigt hatte.

Methoden zur Beurteilung der Risikoverminderung müssen verbessert werden

Die Studie diskutiert ihre Ergebnisse auch in Bezug auf die EU-Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden. Diese sieht eine Reduzierung von Pestizidrisiken um 50 Prozent bis 2030 vor. „Jedes Ziel zur Risikoverminderung benötigt Indikatoren, um dessen Erfolg zu beurteilen“, bemerkt Ralf Schulz, Mitautor der Studie. „Wir haben den harmonisierten Risikoindikator der EU mit der ausgebrachten Gesamttoxizität verglichen, um zu verstehen, warum der EU-Risikoindikator entgegen unserer Ergebnisse ein sinkendes Risiko anzeigt.“

Die Wissenschaftler bemängeln, dass der EU-Risikoindikator nicht zwischen verschiedenen Organismengruppen unterscheidet und einzelne Pestizide fixen Risikokategorien zuordnet, anstatt deren spezifische Toxizität gegenüber einzelnen Organismengruppen zu berücksichtigen. Aus Sicht der Landauer Wissenschaftler ist der EU-Indikator daher als Risikoindikator ungeeignet. „Bei der Anwendung des harmonisierten Risikoindikators bleibt ein wesentlicher Faktor für Pestizidrisiken, nämlich Toxizität, unberücksichtigt“, betont Schulz. Dieser Indikator spiegelte nicht wider, dass manche Pestizide zunehmend toxisch auf einzelne Organismengruppen wirken. Außerdem ist er in einer Weise angelegt, so Schulz, die dazu führe, dass eine bloße Neukategorisierung von Pestiziden bereits zu einem sinkenden Trend führen kann.

„Die EU hat sich ambitionierte Ziele zur Minderung von Pestizidrisiken gesetzt. Die Methoden, mit denen das Erreichen dieser Ziele überwacht wird, sollten so fundiert wie möglich sein.“

Die Studie
Bub, S., Wolfram, J., Petschick, L.L., Stehle, S., Schulz, R. (2023) Trends of total applied pesticide toxicity in German agriculture. Environmental Science & Technology. https:doi.org/10.1021/acs.est.2c07251

Bildlegende zur Grafik „Pestizidrisiken für Bestäuber in Deutschland“
Die ausgebrachte Gesamttoxizität ist ein Indikator, mit dem Trends für Pestizidrisiken verschiedener Organismengruppen identifiziert werden können. Sie kann auch leicht in Kartendarstellungen gebracht werden, um Risiken für verschiedene Regionen zu vergleichen. Die Karte zeigt die Verteilung der ausgebrachten Gesamttoxizität für Bestäuber in Deutschland im Jahr 2017. Grafik: RPTU, Sascha Bub, 2023

Fachlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ralf Schulz
RPTU Kaiserslautern-Landau
iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften
Tel.: 06341 280-31327
E-Mail: r.schulz@rptu.de

Pressekontakt
Kerstin Theilmann
Universitätskommunikation
Tel.: 06341 / 280-32219
E-Mail: kerstin.theilmann@rptu.de
Web: rptu.de

Über die RPTU
Seit dem 1. Januar 2023 sind die Technische Universität Kaiserslautern und die Universität in Landau die Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau. Mit über 20.000 Studierenden und mehr als 300 Professorinnen und Professoren ist die RPTU die zweitgrößte akademische Einrichtung des Landes. Als Ort internationaler Spitzenforschung und akademische Talentschmiede der Wirtschaft und Wissenschaft bietet die RPTU exzellente Studien- und Forschungsbedingungen sowie ein weltoffenes Umfeld. Die RPTU ist zudem Innovations- und Transferpartner für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wer an der RPTU studiert, lernt, forscht oder arbeitet, ist Teil einer lebendigen Universitätsgemeinschaft und gestaltet die Welt von morgen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Ralf Schulz
RPTU Kaiserslautern-Landau
iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften
Tel.: 06341 280-31327
E-Mail: r.schulz@rptu.de

Originalpublikation:

Bub, S., Wolfram, J., Petschick, L.L., Stehle, S., Schulz, R. (2023) Trends of total applied pesticide toxicity in German agriculture. Environmental Science & Technology. https:doi.org/10.1021/acs.est.2c07251

http://www.rptu.de

Media Contact

Kerstin Theilmann Universitätskommunikation
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Ökologie Umwelt- Naturschutz

Dieser Themenkomplex befasst sich primär mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren, aber auch im weiteren Sinn zwischen einzelnen unbelebten Umweltfaktoren.

Der innovations report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Klimaschutz, Landschaftsschutzgebiete, Ökosysteme, Naturparks sowie zu Untersuchungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer