Wie Mikroorganismen die Stickstoffdüngung im Schwarzen Meer regeln

Schema der neu entdeckten Stickstoff-Freisetzung im Schwarzen Meer. Die Wassersäule im Schwarzen Meer ist geschichtet: In der oberen sauerstoffreichen Zone (rot) werden die abgestorbenen Algen (Phytoplankton) mit den bekannten Schritten Nitrifikation und anschließender Denitrifikation (brauner Bereich) abgebaut. Dabei wird gasförmiger Stickstoff freigesetzt, der in die Atmosphäre entweicht. In den unteren Zonen sammeln sich die Reste abgestorbener Lebewesen an, die dem oben beschriebenen Abbauweg entkommen sind. In dieser Zone funktionieren Nitrifikation und Denitrifikation nicht, weil der dazu nötige Sauerstoff fehlt. Hier haben sich andere Nahrungsspezialisten, die neu entdeckten Anammox-Bakterien, angesiedelt. Sie ziehen ihre Lebensenergie direkt aus dem Ammonium, das sie mit dem aus den oberen Schichten kommenden Nitrit zu Stickstoff oxidieren. Dieser Stickstoff entweicht wiederum als Gas in die Atmosphäre. <br><br>Grafik: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Bremer Max-Planck-Wissenschaftler entdecken bisher unbekannten Abbauprozess von stickstoffhaltigen Nährstoffen im Schwarzen Meer

Bei einer Expeditionsausfahrt mit dem deutschen Forschungsschiff „Meteor“ im Schwarzen Meer haben Wissenschaftler vom Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie zusammen mit niederländischen Kollegen bisher unbekannte Bakterien entdeckt, die die Fähigkeit besitzen, das für das Algenwachstum lebenswichtige Ammonium in atmosphärischen Stickstoff umzuwandeln und damit als Nährstoff unzugänglich zu machen. Dieser neu entdeckte Prozess läuft im Gegensatz zu den bisher bekannten Umsetzungen von Ammonium (NH4) ohne molekularen Sauerstoff ab. Die anaerobe Ammonium-Oxidation wird von den gleichnamigen Anammox-Bakterien geleistet und gilt nun als der wichtigste Abbauprozess für stickstoffhaltige Nährstoffe im Schwarzen Meer. Da die Bedingungen, unter denen diese Bakterien im weitgehend sauerstofffreien Schwarzen Meer leben, im Boden der Ozeane weit verbreitet sind, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass diese Bakterien für den globalen Stickstoffkreislauf von wesentlicher Bedeutung sind (nature, 10. April 2003).

Jeder Hobbygärtner kennt das Problem: Ohne Stickstoffdüngung wird es schwierig mit der Blumenpracht. Düngt man zuviel, hat man auch Probleme. Das gilt auch für die „Blumen des Meeres“, die Algen. Mikroskopisch kleine Algen (Phytoplankton) spielen für das globale Ökosystem eine wichtige Rolle, da sie mit Hilfe der Photosynthese das klimabeeinflussende Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre entfernen. Zum Wachsen brauchen sie allerdings wie ihre Vettern an Land auch stickstoffhaltige Nährstoffe wie Ammonium. Diese Nährstoffe sind, im Gegensatz zu CO2, nur sehr begrenzt verfügbar. Je höher der Nährstoffgehalt, desto mehr Algen können wachsen und CO2 fixieren.

Der Nährstoffgehalt im Ozean kann so indirekt die Menge an CO2 und damit das Klima beeinflussen. Will man also die heutige Entwicklung des Klimas genauer verstehen, gilt es zunächst den Stickstoffkreislauf im Ozean besser zu begreifen. Der Stickstoffhaushalt wird bestimmt durch die Mengen und die Geschwindigkeiten, mit der Stickstoff in Form von Nitrat, Nitrit, Ammonium und anderen anorganischen Verbindungen gespeichert (fixiert) oder umgekehrt – als Stickstoffgas freigesetzt (Denitrifikation). Bisher glaubte man, von den Faktoren, die den Stickstoffhaushalt im Ozean bestimmen, ein klares Bild zu haben. Die Ergebnisse der Wissenschaftler vom Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, der Delft Universität, dem königlich-niederländischem Institut für Meeresforschung (NIOZ) und der Universität Nimwegen stellen dieses Bild jedoch in Frage.

Bisher hielt man die Denitrifikation für den einzig relevanten Prozess, der die stickstoffhaltigen Nährstoffe im Ozean vermindert (s. Abbildung). Im ersten Schritt oxidieren Mikroorganismen das Ammonium mit Sauerstoff über Nitrit zu Nitrat, das dann in der Denitrifikation schließlich als gasförmiger atmosphärischer Stickstoff in die Atmosphäre geht. Durch diesen Abbau von Nährstoffen in Auftriebsgebieten und Sedimenten glaubte man, die Mengen an freigesetztem atmosphärischen Stickstoff zum größten Teil erklären zu können. Doch die jetzt im Schwarzen Meer gefundenen Bakterien sind in der Lage, Ammonium ohne die oben beschriebenen Umwege direkt zu oxidieren.

Bereits vor mehr als dreißig Jahren vermuteten Meeresforscher, dass Ammonium auch unter sauerstofffreien (anoxischen) Bedingungen konsumiert wird. Doch erst vor wenigen Jahren hat man Lebewesen entdeckt, die dieses Kunststück tatsächlich fertig bringen – in Kläranlagen. Diese Anammox-Mikroorganismen werden in Zukunft eine wichtige Rolle beim Betrieb moderner Kläranlagen spielen. Die Betreiber können dann auf den teuren Einsatz von Sauerstoffgas verzichten, denn die genügsamen Bakterien erledigen die notwendige Umsetzung von Ammonium zu Stickstoff mit Nitrat. Dass es aber marine Verwandte dieser Bakterien geben könnte, die sogar unser Klima und das Ökosystem Meer in nachhaltiger Weise beeinflussen, hat niemand geglaubt, da die Kläranlagen-Bakterien nur sehr langsam wachsen und damit im Meer keine tragende Rolle spielen sollten.

Doch die neuen Ergebnisse von der „Meteor“-Fahrt ins Schwarze Meer zeigen eindeutig, dass Anammox-Bakterien auch am Stickstoff-Umsatz entscheidend beteiligt sind. Sie sind die Ursache für die dort stattfindende anaerobe Ammonium-Oxidation, bei der Ammonium eben durch Nitrit und nicht durch Sauerstoff zu Stickstoffgas oxidiert wird, das dann aus dem Ozean in die Atmosphäre entweicht. Dieser Nachweis gelang den Forschern mit vier eindeutigen Befunden:

1. Mit zunehmender Wassertiefe sinkt der Sauerstoffgehalt im Schwarzen Meer, unterhalb von 80 Metern ist kein Sauerstoff mehr nachweisbar. Doch erst ab einer Tiefe von mehr als 100 Metern beginnt der Bereich mit Ammonium. Daher gibt es eine Zone zwischen 80 und 100 Metern, in der es weder Ammonium noch Sauerstoff gibt. Diese Besonderheit ließ Dr. Gaute Lavik, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen, vermuten, dass es im zentralen Bereich des Schwarzen Meeres tatsächlich den Anammox-Prozess geben könnte (s. Abbildung).

2. Mit Isotopen-markierten Stickstoffverbindungen konnte Olav Sliekers (Doktorand der Technischen Universität Delft, Niederlande) dann nachweisen, dass in diesem Tiefenbereich Ammonium tatsächlich mittels Nitrit zu elementarem Stickstoff abgebaut wird.

3. Beim Anammox-Prozess entstehen in der Zelle hochreaktive Zwischenverbindungen, vor denen sich die Zelle schützen muss. Die Bakterien verfügen deshalb in ihrem Inneren über ein „Anammoxosom“, einen besonders abgeschlossenen Bereich (Zellkompartiment), in dem der Anammox-Prozess abläuft. Das Anammoxosoms enthält spezielle Membranlipide, die von Dr. Marcel Kuypers (ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bremer Max-Planck-Instituts) aus dem Meerwasser des Schwarzem Meeres isoliert wurden. Mit dem Nachweis von typischen Zellbestandteilen von Anammox-Bakterien gelang der sichere Beweis für ihre Existenz im Meer.

4. Aus den im Meerwasser lebenden Bakterien konnten die Forscher Erbsubstanz (DNS) isolieren und damit eindeutig beweisen, dass die Organismen nahe Verwandte der erst vor kurzem in Kläranlagen entdeckten Anammox-Bakterien sind. Durch eine spezielle Färbung mit spezifischen Gen-Sonden konnten die Forscher die Bakterien identifizieren.

Zählt man die Anammox-Bakterien in einer Meerwasserprobe, zeigt eine einfache Berechnung, dass es im Schwarzen Meer genügend Anammox-Bakterien gibt, um den beobachteten Ammonium-Abbau zu atmosphärischem Stickstoff zu erklären. Tatsächlich ist Anammox vermutlich der wichtigste Abbauprozess für stickstoffhaltige Nährstoffe im Schwarzen Meer. Da es in den Böden der Weltmeere ähnliche Bedingungen wie im Schwarzen Meeres gibt, liegt die Vermutung nahe, dass Anammox auf globaler Ebene eine bisher ungeahnte, wichtige Bedeutung für den Stickstoffkreislauf und die damit verbundenen Umweltbedingungen hat.

Media Contact

Dr. Manfred Schlösser Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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