Das Darm-Mikrobiom als Gesundheitskompass

Machine Learning Modell zur Prognose von NAFLD mit dem Darm-Mikrobiom.
(c) Howell Leung/ Leibniz-HKI

Das menschliche Mikrobiom kann Auskunft darüber geben, ob die Gefahr einer nichtalkoholischen Fettleber besteht. Das hat ein internationales Team unter Leitung des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans Knöll Institut (Leibniz-HKI) herausgefunden. Die Forschenden entwickelten ein Modell, das anhand der mikrobiellen Zusammensetzung im Darm den möglichen Verlauf der Krankheit vorhersagen kann. Die Studie wurde in Science Translational Medicine publiziert.

Bis zu 25 Prozent der Weltbevölkerung leiden an einer sogenannten nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD), bei der sich eine erhöhte Menge an Fettzellen in der Leber bildet. Sie ist in den Industriestaaten der Welt die häufigste chronische Lebererkrankung und wird im Gegensatz zur alkoholischen Fettlebererkrankung nicht durch einen erhöhten Alkoholkonsum verursacht.

Ein internationales Forschungsteam um Gianni Panagiotou, Forschungsgruppenleiter für Systembiologie und Bioinformatik am Leibniz-HKI, hat in einer Langzeitstudie Stuhl- und Blutproben von 1200 Personen analysiert, die nachweislich nicht an NAFLD erkrankt waren. „Es ist bereits erwiesen, dass die Mikroorganismen im Darm des Menschen zur Entwicklung von NAFLD beitragen. Wir wollten herausfinden, ob sich anhand des Mikrobioms eines gesunden Menschen prognostizieren lässt, ob dieser zukünftig an NAFLD erkranken wird oder nicht“ erklärt Panagiotou. Dafür wurden die Proband:innen vier Jahre später erneut untersucht. 90 von ihnen waren in der Zwischenzeit an NAFLD erkrankt. Diesen Personen wurden erneut Proben entnommen und mit denen einer Kontrollgruppe von ebenfalls 90 Personen verglichen, die weder bei der Erst- noch bei der Nachuntersuchung an NAFLD litten.

„Mithilfe verschiedener Methoden konnten wir sehr feine Unterschiede in den vier Jahre zuvor abgegebenen Proben finden“ erklärt Erstautor Howell Leung aus Panagiotous Gruppe am Leibniz-HKI. „Mit diesen Daten konnten wir ein Modell entwickeln, das anhand des Mikrobioms mit 80-prozentiger Sicherheit prognostizieren kann, wer zukünftig an NAFLD erkranken wird“ erläutert Leung weiter. Aktuell gibt es klinische Modelle, die mittels biochemischer Parameter im Blut eine Prognose mit einer Genauigkeit von 60 Prozent tätigen. „Das von uns entwickelte Modell kombiniert leicht messbare Informationen aus dem Blut mit Daten aus dem Mikrobiom und kann somit die Zuverlässigkeit enorm erhöhen,“ sagt Studienleiter Panagiotou.

Krankheitsprognose durch maschinelles Lernen

Das Forschungsteam entwickelte ein sogenanntes Machine Learning Modell – ein Computermodell, das darauf trainiert wird, in einer Datenmenge bestimmte Muster wiederzuerkennen. Diese Muster kann das Modell dann verwenden um vorher unbekannte Daten zu analysieren und eine mögliche nichtalkoholische Fettlebererkrankung vorherzusagen. „Der gesamte Prozess der Entwicklung unseres Modells erstreckte sich aufgrund der Komplexität der Daten über drei Jahre. Am Ende waren wir aber erfolgreich und konnten ein nützliches Werkzeug zur Prognose von NAFLD schaffen“, sagt Panagiotou.

Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung ist irreversibel und kann in schlimmen Fällen sogar zu Leberkrebs führen. Menschen, die bereits an einer Vorstufe leiden oder besonders gefährdet sind, müssen daher frühzeitig identifiziert werden, um der Krankheit entgegenwirken zu können. „NAFLD ist eine stille Krankheit. Das bedeutet, dass sie in den meisten Fällen asymptomatisch verläuft und meist nur zufällig erkannt wird“ erklärt Gianni Panagiotou.

Die Zahl der an NAFLD erkrankten Deutschen wird auf ca. 12 Millionen geschätzt. Besonders betroffen von Fettlebererkrankungen sind Menschen mit Vorerkrankungen wie zum Beispiel Diabetes Typ 2, Adipositas, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen.

Anwendungsmöglichkeiten und nächste Schritte

Anhand ihres Machine Learning Modells konnten die Forschenden ihre Ergebnisse bereits mit Daten aus den USA und Europa vergleichen und somit validieren. Im nächsten Schritt plant Panagiotou, die Studie länderübergreifend durchzuführen und mithilfe von künstlicher Intelligenz noch größere Datensätze in die Studie zu integrieren.

„Ich sehe die Mikrobiom-basierte Diagnostik als etwas, das in den nächsten zehn Jahren die klinische Praxis erreichen und ein großes Potenzial entfalten wird“ ist Panagiotou überzeugt. Die frühzeitige Behandlung der Risikofaktoren einer nichtalkoholischen Fettlebererkrankung, wie zum Beispiel Diabetes Typ 2, Bluthochdruck und Adipositas, könnte die Entwicklung der Krankheit anhalten. Deswegen ist eine frühe Prognose die einzige Möglichkeit, der Erkrankung vorzubeugen.

Die Arbeit wurde durch den Jenaer Exzellenzcluster Balance of the Microverse unterstützt. Er beschäftigt sich mit dem Einfluss von Mikrobiomen auf die Lebensvorgänge anderer Organismen. Ziel ist es herauszufinden, welche Faktoren die Systeme stabilisieren beziehungsweise destabilisieren und inwiefern der Mensch zielgerichtet eingreifen kann, um das Gleichgewicht mikrobieller Gemeinschaften zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Studie entstand in Kooperation mit einem Forschungsteam vom Shanghai Jiao Tong University Affiliated Sixth People’s Hospital, Shanghai Diabetes Institute, Shanghai Clinical Center for Diabetes, Shanghai Key Laboratory of Diabetes Mellitus und internationalen Forschenden aus China, Dänemark, Finnland, Schweden, Frankreich und den USA.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Gianni Panagiotou
Systembiologie und Bioinformatik – Leibniz-HKI
gianni.panagiotou@leibniz-hki.de

Originalpublikation:

Leung H, Long X, Ni Y, Qian L, Nychas E, Leal Siliceo S, Pohl D, Hanhineva K, Liu Y, Xu A, Nielsen HB, Belda E, Clément K, Loomba R, Li H, Jia W, Panagiotou G (2022) Risk assessment with gut microbiome and metabolite markers in NAFLD development. Science Translational Medicine, https://doi.org/10.1126/scitranslmed.abk0855

https://www.leibniz-hki.de

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Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI)

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