Bioinspirierte Herzklappen aus dem 3D-Drucker
Ein Forschungsteam hat Gerüste für künstliche Herzklappen aus dem 3D-Drucker entwickelt, die es ermöglichen sollen, im Patienten neues Gewebe aus körpereigenen Zellen zu bilden. Zur Herstellung dieser Gerüste mit dem hochmodernen additiven Fertigungsverfahren namens Melt Electrowriting schuf das Team eine neuartige Produktionsplattform. Diese ermöglicht es, verschiedene hochpräzise Muster zu kombinieren und so die mechanischen Eigenschaften des Gerüsts zu optimieren. Langfristig sollen so mitwachsende Herzklappenimplantate entstehen, die insbesondere für Kinder eine lebenslange, nachhaltige Therapieoption darstellen.
Im menschlichen Körper sorgen vier Herzklappen dafür, dass das Blut in die richtige Richtung gelenkt wird. Es ist dabei entscheidend, dass die Herzklappen sich richtig öffnen und schließen. Um diese Funktion zu gewährleisten, ist das Herzklappengewebe heterogen aufgebaut, was bedeutet, dass die Herzklappen innerhalb ihrer Struktur verschiedene biomechanische Eigenschaften aufweisen.
Ein Forschungsteam um Petra Mela, Professorin für Medizintechnische Materialien und Implantate an der Technischen Universität München (TUM), und Professorin Elena De-Juan Pardo von der University of Western Australia, hat nun erstmals diese heterogene Struktur mit einem 3D-Druckverfahren namens Melt Electrowriting imitiert. Zu diesem Zweck haben sie eine Fertigungspattform entwickelt, die das hochpräzise Drucken von individuellen Mustern und Kombinationen davon ermöglicht. Dadurch waren sie in der Lage, verschiedene mechanische Eigenschaften innerhalb der Grundstruktur einer Herzklappe genau anzupassen.
Melt Electrowriting ermöglicht die Herstellung präziser und individueller Gerüststrukturen
Melt Electrowriting ist ein vergleichsweise neuartiges additives Herstellungsverfahren, bei dem elektrische Hochspannung eingesetzt wird, um präzise Muster aus einer sehr dünnen Polymerfaser zu bilden. Ein Polymer wird erwärmt, geschmolzen und als flüssiger Strahl aus einem Druckkopf gepresst.
Während des Verfahrens wird ein elektrisches Hochspannungsfeld eingesetzt, das es ermöglicht den Durchmesser des Polymerstrahls deutlich zu verkleinern, indem der Strahl beschleunigt und in Richtung einer Auffangvorrichtung gezogen wird. Dadurch entsteht eine sehr dünne Faser, deren Durchmesser typischerweise im Bereich von fünf bis fünfzig Mikrometern liegt. Außerdem stabilisiert das elektrische Feld den Polymerstrahl. Das ist eine Voraussetzung, um damit klar definierte und präzise Muster zu erzeugen.
Das „Schreiben“ von vordefinierten Mustern mit dem Faserstrahl erfolgt mithilfe einer computergesteuerten Auffangplattform. Diese sich bewegende Plattform fängt die austretende Faser in einem klar definierten Pfad auf, ähnlich wie eine Scheibe Brot, die unter einem tropfenden Löffel Honig hin- und her bewegt wird. Vorgegeben wird dieser Pfad von der Benutzerin oder dem Benutzer durch die Programmierung von Koordinaten.
Um den Programmierungsaufwand, der für die Herstellung komplexer Strukturen für Herzklappen erforderlich ist, deutlich zu verringern, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Software entwickelt, mit der es möglich ist, verschiedenen Bereichen des Gerüsts einer Herzklappe einzelne Muster zuzuordnen. Diese können aus einer Sammlung von verfügbaren Mustern ausgewählt werden. Darüber hinaus können geometrische Spezifikationen wie Länge, Durchmesser und Querschnitt des Trägergerüsts ganz einfach über eine grafische Benutzeroberfläche angepasst werden.
Die Herzklappen-Trägergerüste sind mit Zellen kompatibel und biologisch abbaubar
Das Team verwendete medizinisch zugelassenes Polycaprolacton (PCL) für den 3D-Druck, da dieses mit Zellen kompatibel und biologisch abbaubar ist. Die Forschenden verfolgen damit das Konzept, dass nach der Implantation der PCL-Herzklappen körpereigene Zellen der Patientin oder des Patienten auf dem porösen Trägergerüst wachsen, die dann möglicherweise neues Gewebe bilden, bevor sich die PCL-Struktur abbaut. In ersten Zellkulturstudien konnte bereits Zellwachstum auf dem Trägergerüst beobachtet werden.
Das PCL-Trägergerüst ist in ein elastinartiges Material eingebettet, das die Eigenschaften des körpereigenen Elastins in echten Herzklappen imitiert. Außerdem besitzt es Mikroporen, die feiner sind als die des PCL-Gerüsts. Dadurch soll genug Raum gelassen werden, damit die Zellen sich ansiedeln können, doch gleichzeitig sind die Klappen auch dicht genug, um den Blutstrom sicherzustellen.
Die 3D-gedruckten Herzklappen wurden in einem künstlichen Kreislaufsystem getestet, das den körpereigenen Blutstrom und -druck simuliert. Unter den untersuchten Bedingungen öffneten und schlossen sich die Herzklappen ordnungsgemäß.
Nanopartikel ermöglichen die Visualisierung im MRT
Der PCL-Werkstoff wurde weiterentwickelt und evaluiert. Daran beteiligt waren Franz Schilling, Professor für Biomedizinische Magnetresonanz, und Sonja Berensmeier, Professorin für Selektive Trenntechnik an der TUM. Durch die Modifizierung des PCL mit sogenannten ultrakleinen superparamagnetischen Eisenoxid-Nanopartikeln konnten die Forschenden die Trägergerüste mithilfe der bildgebenden Magnetresonanztechnologie (MRT) sichtbar machen. Der Werkstoff ist auch mit dieser Modifizierung weiterhin druckbar und mit Körperzellen kompatibel. Das könnte den Einsatz dieser Technik in Kliniken erleichtern, da auf diese Weise die Gerüste während der Implantation sichtbar gemacht werden können.
„Unser Ziel besteht darin, bioanaloge Herzklappen zu erschaffen, die die Bildung von neuem funktionalen Gewebe im Patienten fördern. Vor allem Kinder könnten von einer solchen Lösung profitieren, da aktuell verfügbare Herzklappen nicht mitwachsen und daher im Laufe der Jahre in mehreren Eingriffen ausgetauscht werden müssen. Unsere Herzklappen imitieren hingegen die Komplexität der körpereigenen Herzklappen und sind so konstruiert, dass sie es den Körperzellen der Patientin oder des Patienten ermöglichen, das Trägergerüst zu infiltrieren“, erklärt Petra Mela.
Der nächste Schritt in Richtung Klinikeinsatz sind präklinische Studien im Tiermodell. Das Team arbeitet außerdem daran, die Technologie noch weiter zu verbessern und neue Biowerkstoffe zu entwickeln.
Mehr Informationen:
Prof. Petra Mela und Prof. Franz Schilling sind Principal Investigators am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE). Das MIBE ist ein Integrative Research Institute der Technischen Universität München (TUM), das interdisziplinäre Zusammenarbeit und Synergien zwischen Forschenden aus dem weiten Feld des Biomedical Engineering fördert. Am MIBE entwickeln und verbessern Forschende aus der Medizin, den Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften gemeinsam Verfahren zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Die Aktivitäten reichen dabei von der Untersuchung grundlegender wissenschaftlicher Prinzipien bis zu deren Anwendung in medizinischen Geräten, Medikamenten oder Computerprogrammen. https://www.bioengineering.tum.de/
Prof. Petra Mela forscht auch an der TUM School of Engineering and Design, Department of Mechanical Engineering.
Forschende folgender Universitäten waren an den Projekten beteiligt: Technische Universität München (TUM), Queensland University of Technology (QUT), RWTH Aachen University, The University of Western Australia, the University of Valladolid. SEM Bildgebung der Melt Electrowriting Gerüste wurde an der Central Analytical Research Facility durchgeführt, die vom Institute for Future Environments betrieben und von der Science and Engineering Faculty QUT unterstützt wird.
Die Forschung wurde gefördert von: the Australian Research Council, the Centre in Regenerative Medicine, deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), the START-Program of the Medical Faculty of RWTH Aachen University, the Spanish Government, Junta de Castilla y León, Interreg V España Portugal POCTEP and Centro en Red de Medicina Regenerativa y Terapia Celular de Castilla y León. Open Access Finanzierung wurde über das Projekt DEAL ermöglicht und organisiert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Petra Mela
Technische Universität München
Lehrstuhl für Medizintechnische Materialien und Implantate
Tel: +49 89 289 16701
petra.mela@tum.de
https://www.mec.ed.tum.de/en/mmi/home/
Originalpublikation:
Saidy, N. T., Fernández-Colino, A., Heidari, B. S., Kent, R., Vernon, M., Bas, O., Mulderrig, S., Lubig, A., Rodríguez-Cabello, J. C., Doyle, B., Hutmacher, D. W., De-Juan-Pardo, E. M., Mela, P., Spatially Heterogeneous Tubular Scaffolds for In Situ Heart Valve Tissue Engineering Using Melt Electrowriting. Adv.Funct.Mater. 2022, 2110716. https://doi.org/10.1002/adfm.202110716
Mueller, K. M. A., Topping, G.J., Schwaminger, S.P., Zou, Y., Rojas-González, D. M., De.Juan-Pardo, E., Berensmeier, S., Schilling, F., Mela, P., Visualization of USPIO-labeled melt-electrowritten scaffolds by non-invasive magnetic resonance imaging, Biomater.Sci. 2021,9, 4607-4612. https://doi.org/10.1039/D1BM00461A
https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/37445
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizintechnik
Kennzeichnend für die Entwicklung medizintechnischer Geräte, Produkte und technischer Verfahren ist ein hoher Forschungsaufwand innerhalb einer Vielzahl von medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin.
Der innovations-report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Bildgebende Verfahren, Zell- und Gewebetechnik, Optische Techniken in der Medizin, Implantate, Orthopädische Hilfen, Geräte für Kliniken und Praxen, Dialysegeräte, Röntgen- und Strahlentherapiegeräte, Endoskopie, Ultraschall, Chirurgische Technik, und zahnärztliche Materialien.
Neueste Beiträge
Schnittstellenproblem gelöst
UDDC sorgt für reibungslose Übertragung von Bilddaten auf Mikrodisplays. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS haben einen universellen Datenkonverter für Displaydaten (UDDC) entwickelt. Dieser ermöglicht die Übertragung von Bilddaten…
Keine signifikanten PFAS-Emissionen durch Abfallverbrennung
Versuche am KIT zeigen, dass sich Fluorpolymere in der Hausmüllverbrennung nach europäischen Standards nahezu rückstandsfrei abbauen. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS, finden sich in unzähligen Produkten und damit auch…
StrokeCap – Die mobile Schlaganfalldiagnostik der Zukunft
Die StrokeCap, ein von der Julius-Maximilians-Universität und dem Uniklinikum Würzburg gemeinsam entwickeltes innovatives, tragbares Gerät, das die mobile Schlaganfalldiagnostik revolutionieren und so Leben retten kann, gewinnt einen von fünf Medical…