Wie Glykolipide Krebszellen verändern können

Glykolipide kennzeichnen Krebszellen: Die Verwendung von verschiedenen experimentellen Verfahren zeigte auf, dass Glykolipide spezifisch den Tumoranteil im Gewebe (grün) charakterisieren und die Plastizität von Zellen beeinflussen. Abbildung bioRENDER ers
© Francis Jacob

Patientinnen mit Eierstockkrebs haben trotz großen medizinischen Fortschritts immer noch nur eine minimal verbesserte Heilungschance. Um neue Behandlungsmöglichkeiten entwickeln zu können, muss erst die Ausbreitung der Krankheit besser verstanden werden. Ein internationales Team um die Basler Forschenden Francis Jacob und Viola Heinzelmann-Schwarz gelang es nun mit Unterstützung der Wilhelm Sander-Stiftung aufzuzeigen, dass die Veränderung der Tumorzellen bei der Metastasierung von sogenannten Glykolipiden auf der Zelloberfläche abhängig ist. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Cell Reports publiziert.

Der Eierstockkrebs gehört in der westlichen Gesellschaft zu den tödlichsten Krebserkrankungen bei Frauen. Dies beruht auf einer unzureichenden Früherkennung welche dazu führen, dass die meisten Patientinnen erst im weit fortgeschrittenen Stadium, also wenn der Krebs sich bereits im Bauchraum ausgebreitet hat, diagnostiziert werden. Leider ist dann die Heilungschance trotz Chemotherapie mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von nur 20-30 Prozent sehr niedrig.

In Bezug auf die Tumorausbreitung gibt es bereits wissenschaftliche Beweise, dass die Metastasierung im Bauchraum über das Lymphsystem, die Blutbahn oder über freies Bauchwasser geschieht. Diese Prozesse setzen jedoch voraus, dass die metastasierenden Tumorzellen sich an die neue Umgebung anpassen und somit einen Übergang zwischen verschiedenen Zellstadien vollziehen müssen. Diese Fähigkeit wird “Zellplastizität” genannt. Vorangegangene Arbeiten, sowie die langjährige Forschung von Dr. Francis Jacob zeigten auf, dass eine besondere Molekülklasse hier einen entscheidenden Beitrag leistet. Diese sogenannten Glykolipide sind Moleküle aus Zucker und Fettanteil. Sie kommen auf jeder Zelloberfläche vor und sind in verschiedenste zelluläre Kommunikationsprozesse involviert. Die Glykolipide “könnten möglicherweise aktiv die Zellplastizität von Tumorzellen beeinflussen” – so die Hypothese von Francis Jacob, Projektleiter am Departement Biomedizin, Universitätsspital Basel und Universität Basel.

Daher hat sich das interdisziplinäre Team um Francis Jacob, sowie Prof. Dr. Viola Heinzelmann-Schwarz, Chefärztin und Vorsteherin am Universitätsspital Basel zusammen mit langjährigen internationalen Partnern von der Griffith Universität in Australien (Dr. Arun Everest-Dass und Prof. Dr. Mark von Itzstein) und Prof. Dr. Falk F. R. Büttner (Medizinische Hochschule Hannover) vorgenommen, diese Glykolipide weiter zu untersuchen. Ziel des Forschungsteams war es, die Beteiligung der bisher wenig beachteten Moleküle auf der Oberfläche von Krebszellen im Zusammenhang mit der Tumorausbreitung genauer zu studieren. Basierend auf Vorarbeiten wollten sie aufzeigen, dass neben dem Erbgut auch andere molekulare Bausteine der Zelle die Tumorausbreitung entscheidend beeinflussen können. Dieses Wissen könnte in naher Zukunft wichtig sein, um therapeutische Ansätze zu finden, welche die Tumorausbreitung unterdrücken und so die Heilungschancen verbessern.

Die Forschungsergebnisse des interdisziplinär arbeitenden Teams basieren auf einer eigenen Biobank und neu entwickelten Technologien, wie zum Beispiel MALDI Imaging. Mit Hilfe von eigens entwickelten experimentellen Ansätzen, einem großen Datensatz von mehr als 3000 Patientinnen und der Genschere CRISPR-Cas9 gelang es, funktionell aufzuzeigen, dass Tumorzellen die Eigenschaft der Zellverwandlung nur eingeschränkt vollziehen können, wenn die entsprechenden Enzyme nicht mehr in der Lage sind, Glykolipide herzustellen. Außerdem zeigten die Wissenschaftler:innen, dass es einen Zusammenhang zwischen Glykolipiden, Zellplastizität und Kalzium gibt. “Dieses unerwartete Ergebnis zum Ende des Projektes lieferte einen weiteren Beweis, für die wichtige Rolle, die Glykolipide einnehmen können”, meinte Francis Jacob und gibt weiter zu verstehen: “Die Veränderung von Proteinen und Lipiden durch das Anhängen von Glykanen (Kohlenhydratstrukturen) stellt vermutlich einen eigenen Code, vergleichbar zum Erbgut, dar. Jedoch ist dieser so komplex, dass ein stetig wachsendes Feld von Wissenschaftler:innen weltweit versucht, diesen zu entschlüsseln.” Das Forschungsteam leistet mit den gewonnenen Ergebnissen einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Funktionsweise der Glykolipide, welche vermutlich auch in Tumorzellen von Patientinnen mit Brustkrebs eine Rolle spielen.

Die gewonnenen Erkenntnisse sollen nun in weiteren Patientinnenproben untersucht werden, um noch ein besseres Verständnis der Funktion der Glykolipide auf Einzelzellebene und in der molekularen Umgebung innerhalb des Tumors zu bekommen. Hierbei sollen auch bereits etablierte ex vivo Zellkulturen (im Labor wachsendes Tumormaterial) eingesetzt werden. Dafür hat die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Viola Heinzelmann-Schwarz und Dr. Francis Jacob in den letzten Jahren eine internationale Gewebebank von mehr als 1500 Patientinnen mit gynäkologischen Tumorerkrankungen aufgebaut und ist Teil des Schweizer Tumor Profiler Projektes (Ein Netzwerk von Forschenden, die sich der detaillierten Beschreibung der molekularen Eigenschaften von Tumoren verschrieben haben). Mit dieser fundierten Basis und den aufgebauten interdisziplinären Wissenschaftsstrukturen erhoffen sich die Wissenschaftler:innen einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Krebsausbreitung leisten zu können.

* Die in diesem Text verwendeten Genderbegriffe vertreten alle Geschlechtsformen.

Wilhelm Sander-Stiftung: Partner innovativer Krebsforschung

Die Wilhelm Sander-Stiftung hat das Forschungsprojekt mit insgesamt rund 60.000 Euro aus dem Nachlass der Geschwister Baumann über 12 Monate unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 270 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Kontakt
Konstanze Adam
Wilhelm Sander-Stiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Stiftungskommunikation
Tel.: +49 (0) 89 544187-0
Fax: +49 (0) 89 544187-20
E-Mail: adam@sanst.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Francis Jacob
Ovarian Cancer Research
Department of Biomedicine
Universitätsspital Basel
Tel.: +41 61 328 69 86
E-Mail: francis.jacob@unibas.ch

Originalpublikation:

Cumin et al. Glycosphingolipids are mediators of cancer plasticity through independent signalling pathways. https://doi.org/10.1016/j.celrep.2022.111181.

Weitere Informationen:

http://www.wilhelm-sander-stiftung.de

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Konstanze Adam Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Stiftungskommunikation
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