Wann haften raue Oberflächen?

Durch umfangreiche Computersimulationen konnten Lars Pastewka vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg und Mark Robbins von der Johns Hopkins University in Baltimore nun den fundamentalen Zusammenhang zwischen der Rauigkeit der Oberflächen, den mikroskopischen Kontaktkräften und der makroskopisch beobachteten Haftung entschlüsseln. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der »Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America« vorgestellt und versprechen zahlreiche neue Lösungen für Haftungsprobleme.

Klebebänder sollen kleben, Reifen auf der Straße haften – dagegen soll das Glas auf der Theke eben nicht haften oder bewegliche Mikrosysteme nicht stecken bleiben. In allen Fällen fragen wir nach der Adhäsion zwischen zwei Oberflächen, sei sie erwünscht oder unerwünscht. Durch umfangreiche Computersimulationen konnten Lars Pastewka vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg und Mark Robbins von der Johns Hopkins University in Baltimore nun den fundamentalen Zusammenhang zwischen der Rauigkeit der Oberflächen, den mikroskopischen Kontaktkräften und der makroskopisch beobachteten Haftung entschlüsseln. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der »Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America« vorgestellt und versprechen zahlreiche neue Lösungen für Haftungsprobleme.

Aneinander haftende Oberflächen sind im Alltag eher die Ausnahme. So kleben Stifte, Papier oder unser Mobiltelefon üblicherweise nicht an den Oberflächen auf denen sie liegen. Ein Physiker, Chemiker oder Ingenieur weiß jedoch, dass zwischen einzelnen Atomen, wenn sie sich nahe genug kommen, große Kräfte wirken. Theoretisch könnten selbst die schwächsten dieser Kräfte das Gewicht eines Kleinwagens auf der Fläche einer Euromünze tragen. Die Diskrepanz zwischen den immensen atomaren Kräften und der Tatsache, dass wir diese bei alltäglichen Objekten im Kontakt miteinander oft nicht spüren, wird als Adhäsionsparadox bezeichnet. Einer der Gründe für dieses Paradox ist vergleichsweise banal. Die meisten Oberflächen sehen auf atomarer Ebene aus wie die Schweizer Alpen und nicht wie die Norddeutsche Tiefebene: Sie sind rau. Die atomaren Kräfte wirken aber nur dort, wo bei Kontakt Bergspitze auf Bergspitze trifft. Die haftende Fläche ist somit auf einen Bruchteil der effektiven Fläche reduziert.

Adhäsion mit Werkstoffsimulation besser verstehen

Will man nun aber verstehen wie und warum Oberflächen aufeinander haften, zum Beispiel zwei sehr glatte, sich berührende Glasscheiben, braucht man einen ganzheitlichen Blick auf diese Systeme. Denn bei der Haftung greifen Bindungsmechanismen auf atomarer Skala, die Oberflächenrauheit, und Deformationsprozesse der Kontaktwerkstoffe ineinander. «Kleine Änderungen in diesen mikroskopischen Prozessen können das Gleichgewicht zwischen den großen atomaren Kräften und der elastischen Deformation so kippen, dass auf makroskopischer Ebene Adhäsion unmittelbar spürbar wird und damit die Funktionsweise vieler technischer Systeme beeinflusst«, erklärt Lars Pastewka. Bislang war der Blick auf diese verschiedenen Skalen nur bedingt möglich und erlaubte nur ein eingeschränktes Verständnis des Gesamtsystems. Dem Wissenschaftlerteam gelang nun erstmals, die mikroskopischen Prozesse und deren Einfluss auf makroskopische Hafteigenschaften aufzuklären – mittels Computersimulationen. »Die direkte Simulation adhäsiver Kontakte bis in den Mikrometerbereich ist notwendig, um die Oberflächentopographie realistisch abzubilden und damit die Brücke zwischen mikroskopischer Oberflächenrauheit und makroskopischer Oberflächenhaftung zu schlagen«, so der Simulationsexperte. Möglich wurde der Durchbruch durch die effiziente Implementierung eines Multiskalenmodells auf Hochleistungsrechnern. Die Ergebnisse, die das neue Modell liefert, unterscheiden sich signifikant von etablierten Modellen, die bis dahin nicht experimentell oder mittels Computersimulationen validiert werden konnten.

Adhäsionseigenschaften einstellen

Diese integrale Betrachtung des Zusammenspiels von Werkstoffeigenschaften, Oberflächenbeschaffenheit und Oberflächenchemie erklärt beispielsweise, warum ein Mikrosystem nicht spontan anhaftet und gibt Hinweise, wie Lecks in Dichtungen minimiert werden können. Das Modell der Experten liefert Erklärungen für das Verhalten vieler weiterer technischer Systeme, wie für die Hafteigenschaften von Klebebändern, Gummi oder Elastomeren, aber auch für biologische Systeme sowie für die viel zitierten rutschfesten Füße der Geckos. Und die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ihre Theorie einfache Vorhersagen liefern kann, die das zielgerichtete Design von haftenden und nichthaftenden Werkstoffen und der erforderlichen Oberflächenrauheit erlauben.

Weitere Informationen:

http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1320846111

Link zum Originalbeitrag L. Pastewka, M.O. Robbins

http://www.iwm.fraunhofer.de/presse-veranstaltungen-publikationen/details/id/771…

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Thomas Götz Fraunhofer-Institut

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

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