Wie Synapsen im Gehirn nicht mehr verschwinden

Die Neurone im Hippocampus transgener Mäuse konnten durch die Behandlung mit Nitarsone erhalten werden.
(c) Anna Karpova / LIN

Bei der Alzheimer-Erkrankung lassen sich kognitive Beeinträchtigungen direkt auf molekulare Veränderungen an den Synapsen des Gehirns zurückführen.

Dr. Michael R. Kreutz hat mit seinem Team vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg und vom Zentrum für Molekulare Neurobiologie Hamburg (ZMNH) und dem Team von Prof. Dr. Stefan Remy vom LIN in einer neuen Studie, die kürzlich im EMBO-Journal publiziert wurde, herausgefunden: Die Substanz Nitarsone verhindert im Alzheimer-Mausmodell den Verlust synaptischer Plastizität, indem sie die Aktivität des Transkriptionsfaktors CREB aufrechterhält.

Bei einer Alzheimer-Demenz verschlechtert sich die kognitive Leistungsfähigkeit zunehmend. Anfangs leiden Betroffene unter milden kognitiven Einschränkungen, und später ist es für sie unmöglich, die Aktivitäten des täglichen Lebens zu bewältigen. Die genauen Mechanismen, die diese Krankheit auslösen, sind bisher noch nicht vollständig geklärt. Man weiß jedoch, dass sich im Gehirn von Patienten Ablagerungen bilden – so genannte Plaques. Sie bestehen im Wesentlichen aus fehlerhaft gefalteten Beta-Amyloid-(Aβ-)-Peptiden und führen zu Schädigungen und Absterben von Synapsen.

„Wir wussten noch nicht genau, wie es funktioniert, aber Aβ unterdrückt die Transkriptionsaktivität des CREB-Proteins“, erklärt Neurobiologin Dr. Anna Karpova. CREB (kurz für: cAMP response element-binding protein) ist ein zellulärer Transkriptionsfaktor und spielt somit für das Umschreiben eines Gens von der DNA in die RNA eine Rolle. „CREB ist ein Hauptregular für das Zellüberleben und die mit Plastizität verbundene Genexpression. Und es beeinflusst die Bildung von Langzeitgedächtnisspuren in Nervenzellen.“

Für die Aktivität von CREB ist auch das Protein Jacob von großer Bedeutung. Jacob ist ein Wandler zwischen Synapsen und dem Zellkern und kann das CREB-Protein aktivieren oder inaktivieren, je nach dem physiologischen Zustand der Synapsen. Bei Alzheimer-Betroffenen führen die toxischen Ablagerungen der Aβ-Peptide dazu, dass Jacob CREB inaktiviert und in der Folge Synapsen und später auch Nervenzellen sterben. Erstautorin Dr. Katarzyna Grochowska erklärt: „In zwei verschiedenen Alzheimer-Mausmodellen konnten wir sehen, wie Synapsen im Hippocampus dadurch beeinträchtigt wurden und verloren gegangen sind. Hierfür war die Inaktivierung von CREB durch Jacob verantwortlich.“

Durch molekulare Analyse und Modellierung des gesamten an dem Prozess beteiligten Signalosoms haben die Teammitglieder ein Molekül identifiziert, welches diese toxische Kaskade im Alzheimer-Gehirn stoppen kann: Nitarsone, ein ehemaliges Medikament aus der Tiermedizin, das in der Geflügelzucht als Futtermittelzusatzstoff genutzt wurde, um das Gewicht der Tiere zu steigern und sie gegen die Schwarzkopfkrankheit zu schützen, verhindert in Nervenzellen die Bildung des Signalosoms, das das CREB-Protein inaktiviert. Dadurch wird die synaptische Plastizität bewahrt und der kognitive Abbau zumindest im Mausmodell verhindert: Alzheimer-Mäuse mit Nitarsone im Futter konnten im Versuch bekannte von unbekannten Objekten ebenso gut unterscheiden wie ihre gesunden Artgenossen.

Noch ist nicht absehbar, ob ein Einsatz beim Menschen in Frage kommt, geben die Forscherinnen und Forscher zu bedenken. Schließlich handelt es sich um eine Arsen-haltige Substanz, die aus diesem Grund vorsorglich auch bei Geflügel, das in die menschliche Nahrungskette geht, keine Anwendung mehr findet. Andererseits ist die Alzheimer-Demenz nach wie vor unheilbar und geht mit starken Einschränkungen der Lebensqualität einher, sodass der Einsatz von Nitarsone oder einem weniger risikoreichen verwandten Molekül genau abgewogen werden muss.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Michael R. Kreutz

Originalpublikation:

https://doi.org/10.15252/embj.2022112453

http://www.lin-magdeburg.de/

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Sophie Ehrenberg Wissenschaftsorganisation & Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Neurobiologie

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