Wie rätselhafte Immunzellen dem Zelltod entgehen

Eine ungewöhnliche Population stark proliferativer T-Zellen wird über das Zelltod-induzierende Molekül FAS kontrolliert.
© Maccari ME et al., J Exp Med. 2020

Immunzellen, die Lymphknoten unkontrolliert wie Tumore anschwellen lassen: Dieses Phänomen ist von einer sehr seltenen Krankheit bekannt, erlaubt aber auch Einblicke ins gesunde Immunsystem und seine Regulierungsmechanismen. Das zeigten Freiburger Forscher in einem von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Forschungsprojekt: Untersuchungen einer besonderen T-Zell-Population und ihres tumorähnlichen Stoffwechsels lieferten Einsichten in die Signalwege, die das menschliche Immunsystem in Balance halten, und zudem wichtige Ansatzpunkte für die Entwicklung einer Therapie für die seltene Erkrankung. Die Ergebnisse wurden am 10.11.2020 im Journal of Experimental Medicine veröffentlicht.

Lassen überalterte Immunzellen Lymphknoten anschwellen?

Bislang wurde den sogenannten doppelt negativen T-Zellen (DNT) in der Forschung nur wenig Beachtung geschenkt. Sie waren vor allem von Patienten* mit autoimmun-lymphoproliferativem Syndrom (ALPS) bekannt. Bei dieser Erkrankung verhindert ein genetischer Fehler, dass T-Zellen ein sogenanntes Todessignal erhalten und absterben. „Es wurde vermutet, dass es sich bei DNT-Zellen um normale T-Zellen handelt, die gewisse Zell-Marker verloren haben. Sie schienen aufgrund des gestörten Signalwegs bei ALPS-Patienten den richtigen Zeitpunkt für ihren planmäßigen Zelltod zu verpassen und sich in den Lymphknoten anzusammeln, bis diese tumorartig anschwellen“, erläutert Dr. Anne Rensing-Ehl, Wissenschaftlerin am Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) des Universitätsklinikums Freiburg. Im Rahmen eines von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Forschungsprojektes hat ein Team aus Wissenschaftlern des CCI um Anne Rensing-Ehl nun entgegen bisheriger Vermutungen herausgefunden, dass diese besondere Gruppe von Immunzellen auch bei gesunden Menschen vorkommt und nur mithilfe von Regulierungsmechanismen von der unkontrollierten Vermehrung abgehalten werden kann.

Aufwändige Analysen weisen neuen Zelltyp nach

Mittels aufwändiger Analysen der Zelleigenschaften gelang es Rensing-Ehl gemeinsam mit ihren Kollegen zu zeigen, dass es sich bei DNT-Zellen entgegen der bisherigen Annahme um eine eigene Form aktiver, stark wachsender Zellen handelt, die sich vermutlich nicht an üblichen Immunantworten gegen Infektionen beteiligen. In kleinen Mengen werden sie bereits in Neugeborenen gebildet. In gesunden Menschen bringt sie das sogenannte Todesmolekül FAS zum Absterben und hält sie so in Schach. Wird dieses Molekül fehlerhaft gebildet, kommt es zur ALPS-Erkrankung mit stark anschwellenden Lymphknoten (siehe Abbildung). „Unsere neuen Kenntnisse der aktiven Signalwege und des tumorähnlichen Stoffwechsels der DNT-Zellen liefern wichtige Ansatzpunkte für die zielgerichtete Therapie von ALPS-Patienten“, sagt Rensing-Ehl. Die Ergebnisse wurden am 10.11.2020 im renommierten Journal of Experimental Medicine veröffentlicht.

Jetzt wollen die Forscher noch genauer untersuchen, warum der menschliche Körper diese sich übermäßig vermehrenden T-Zellen bildet, um sie dann aber rasch wieder in den Zelltod zu schicken. „Die scheinbar funktionslosen DNT-Zellen geben uns noch einige Rätsel auf, von denen wir uns weitere Einblicke in die Funktionsweise des Immunsystems erhoffen“, so Rensing-Ehl.

Ergänzung zur Abbildung

Eine ungewöhnliche Population stark proliferativer T-Zellen wird über das Zelltod induzierende Molekül FAS kontrolliert. Bei gesunden Individuen existieren diese T-Zellen in niedriger Frequenz, werden aber durch FAS in Schach gehalten. Bei ALPS-Patienten hingegen proliferieren sie aufgrund des FAS-Defekts in unkontrollierter Weise.

Wilhelm Sander-Stiftung: Partner innovativer Krebsforschung

Die Wilhelm Sander-Stiftung unterstützt dieses Forschungsprojekt mit rund 200.000 Euro. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt rund 245 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz ausbezahlt. Damit ist die Wilhelm Sander-Stiftung eine der bedeutendsten privaten Forschungsstiftungen im deutschen Raum. Sie ging aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Kontakt:

Henrike Boden
Wilhelm Sander-Stiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit & Stiftungskommunikation
Tel.: +49 (0) 89 544187-0
Fax: +49 (0) 89 544187-20
E-Mail: boden@sanst.de

Hanna Lippitz
Universitätsklinikum Freiburg
Unternehmenskommunikation
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49 (0) 761 270-20060
E-Mail: hanna.lippitz@uniklinik-freiburg.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Anne Rensing-Ehl
Institut für Immundefizienz
Centrum für Chronische Immundefizienz
Universitätsklinikum Freiburg
Tel.: +49 (0) 761 270-71080
E-Mail: anne.rensing-ehl@uniklinik-freiburg.de

https://www.uniklinik-freiburg.de/cci/forschung/stephan-ehl.html

Originalpublikation:

Maccari ME, Fuchs S, Kury P, Andrieux G, Völkl S, Bengsch B, Lorenz MR, Heeg M, Rohr J, Jägle S, Castro CN, Groß M, Warthorst U, König C, Fuchs I, Speckmann C, Thalhammer J, Kapp F, Seidel MG, Dückers G, Schönberger S, Schütz C, Führer M, Kobbe R, Holzinger D, Klemann C, Smisek P, Owens S, Horneff G, Kolb R, Naumann-Bartsch N, Miano M, Staniek j, Rizzi M, Kalina T, Schneider P, Erxleben A, Backofen R, Ekici A, Niemeyer CM, Warnatz K, Grimbacher B, Eibel H, Mackensen A, Frei AP, Schwarz K, Boerries M, Ehl S, Rensing-Ehl a. A distinct CD38+CD45RA+ population of CD4+, CD8+ and double-negative T cells is controlled by FAS. J Exp Med. 2020 Nov 10;218(2). doi: 10.1084/jem.20192191. Epub ahead of print.

https://doi.org/10.1084/jem.20192191

Weitere Informationen:

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