Warum gibt es Superspreader?

Beim Aufreißen eines Flüssigkeitsfilms erkennt man unter dem Mikroskop, dass viele kleine Tröpfchen weggeschleudert werden. Diese Aerosole schweben lange in der Atemluft und spielen bei der Infektion von SARS-CoV2 eine wichtige Rolle.
(c) Patricia Pfeiffer, Fabia Reuter / Universität Magdeburg

Wissenschaftler entschlüsseln in Gewebezüchtungen das Entstehen und Platzen ansteckender Aerosole.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Physik, Biomedizin und Verfahrenstechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sind dabei, mittels Gewebezüchtungen und künstlich hergestellter und mit Viren bepackter Schwebepartikel die Entstehung und Verbreitung von ansteckenden Luftbläschen in unserer Atemluft, so genannter Aerosole, zu entschlüsseln.

Ziel des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG mit fast 900.000 Euro geförderten interdisziplinären Projektes ist es, herauszufinden, warum es das Phänomen so genannter „Superspreader“ gibt. Das Forscherteam geht den Fragen nach, wie die Viruspartikel im menschlichen Körper in die winzigen Aerosole verpackt werden und welche Mechanismen dann dazu führen, dass diese Aerosolpartikel anschließend in den Atemwegen anderer Menschen anhaften, dort platzen und zu weiteren Infektionen führen. Verfahrenstechniker entwickeln anschließend Simulationsmodelle, um belastbare Vorhersagen über die Verteilung und Verbreitung der Aerosole zu treffen.

„Hintergrund dieser wissenschaftlichen Fragestellungen ist, dass durchaus sehr viel Wissen über die biologischen Vorgänge bei der eigentlichen Infektion vorhanden ist, wir also bereits eine genaue Vorstellung davon haben, wie das Virus in die menschliche Zelle gelangt und sich vermehrt“, so die Biomedizinerin Prof. Dr. rer. biol. hum. Heike Walles von der Core Faciltiy Tissue Engineering der Universität Magdeburg, wo Forscherinnen und Forscher künstliches Gewebe nach biologischem Vorbild züchten. „Was wir aber nicht wissen: Wie werden die Viren dann wieder in die Aerosole verpackt und gelangen mit ihnen wieder aus unserem Körper heraus, um weitere Mitmenschen anzustecken?“, so Heike Walles weiter. Um diese Fragen beantworten zu können, seien unterschiedlichste naturwissenschaftliche Disziplinen innerhalb der Universität gefragt. „Die große Herausforderung bei diesem spannenden, interdisziplinären Projekt liegt darin, alle im Einzelnen schon hinreichend komplizierten Technologien unter sterilen Arbeitsbedingungen zusammenzuführen.“

Das Team um den Physiker Prof. Claus-Dieter Ohl von der Fakultät für Naturwissenschaften wird dafür der Natur nachgestellte Aerosole produzieren und darin probeweise fluoreszierende Proteine, anschließend dann Viruspartikel, verpacken. Es werden unterschiedlich große Aerosole hergestellt, wie sie in der menschlichen Lunge vorkommen.

Das Team um die Biomedizinerin Prof. Heike Walles züchtet im Labor künstliche Gewebemodelle der unterschiedlichen Regionen unserer Atemwege und aus Polymeren, also chemischen Molekülen, aufgebaute Röhrensysteme in den Geometrien unserer Atemwege. Diese künstlichen Atemwegsmodelle werden mit Proteinlösungen als Schleimersatz beschichtet, um auch die physikalischen Bedingungen in den Atemwegen zu simulieren.

Anschließend wird getestet, wie sich die Aerosole in den Röhrensystemen nach der Aufbringung durch Hochdruckverfahren verteilen, wie sie an den biologischen Oberflächen anhaften und schließlich platzen. Die Bewegungen der Aerosole wird mit Hochgeschwindigkeitskameras dokumentiert.

Das Team um Juniorprofessor Dr.-Ing. Fabian Denner vom Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik der Fakultät für Verfahrens- und Systemtechnik wird die Vielzahl der in den Experimenten gewonnenen Daten in Simulationsmodelle einpflegen und so eine Entscheidungsgrundlage dafür liefern, welche Anpassungen und Veränderungen im experimentellen Ansatz notwendig sind.

„Wenn wir verstehen, wie die Aerosole produziert werden, wie sie sich verteilen und wann sie unter welchen Umständen platzen, könnte man, beispielsweise, ein Spray entwickeln, das mit Covid19 oder Influenza infizierte Patientinnen und Patienten nutzen, um den pH-Wert bzw. die Oberflächenspannung in ihrer Luftröhre so zu verändern, dass die Aerosole mit den infektiösen Viruspartikeln bei ihnen im Mund platzen und dann einfach geschluckt werden“, so der Physiker Prof. Claus-Dieter Ohl. „Damit wäre es möglich, sehr effektiv die Verbreitung hochansteckender Viren einzugrenzen.“ Biomedizinerin Prof. Heike Walles ergänzt: „Sollten wir die grundlegenden Wirkungsmechanismen, wie geplant, klären, kann dieses etablierte Verfahren auf die weltweite Verbreitung ganz vieler Infektionserkrankungen, von Covid19 bis hin zur Schweinepest, übertragen werden.“

Mehr Informationen über das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft soeben bewilligte Forschungsprojekt Aerosolenstehung in der Lunge und Einkapselung von Viren (Projektnummer: DE 3156/6-1 | OH 75/7-1 | WA 2915/12-1) finden Sie demnächst unter http://www.gepris.dfg.de.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. rer. biol. hum. Heike Walles, Institut für Chemie der Universität Magdeburg, Core Facility Tissue Engineering, Tel.: 0391 67-57346, E-Mail: heike.walles@ovgu.de

http://www.uni-magdeburg.de/

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Katharina Vorwerk Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

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