Virus mit Handicap
Über ihren Durchbruch berichten die Wissenschaftler in der aktuellen Online-Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), DOI: 10.1073/pnas.1411089111.
Der dabei entwickelte Genmarker, der wirksame Viren sicher erkennt, ist ein wichtiges Werkzeug, eventuell auftretende Resistenzen rasch zu erkennen. So bleibt eines der weltweit bedeutendsten Viruspräparate, das Apfelwicklergranulovirus (CpGV), zur Bekämpfung des Apfelwicklers im ökologischen Apfelanbau erhalten.
Im biologischen Pflanzenschutz werden natürlich vorkommende Insektenviren zur Bekämpfung verschiedener Schadinsekten eingesetzt. Die Mittel gelten als sicher und umweltfreundlich, so auch das weltweit bedeutendste Präparat gegen den Apfelwickler, das Apfelwicklergranulovirus (CpGV). Es tötet junge Larven des Schadschmetterlings gezielt ab, bevor sich diese in den Apfel einbohren können.
Seit 2005 häuften sich in Europa Fälle, in denen das kommerzielle Produkt mit dem Virusstamm CpGV-M nicht mehr wirkte. Wie die Resistenz entstand, blieb zunächst unklar. Die Forscher um Prof. Johannes Jehle am Julius Kühn-Institut (JKI) und am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz fanden zunächst neue Virus-Stämme, die auch gegen resistent gewordene Apfelwickler wirken.
Einige dieser resistenzbrechenden Viren werden mittlerweile ebenfalls erfolgreich im Obstbau eingesetzt. Mit vergleichenden genetischen Analysen des Virus stellten sie jetzt fest, dass bei dem teilweise unwirksam gewordenen Virustamm CpGV-M im Gen pe38 eine genetische Variation vorliegt. Demnach liegt im Virus selbst die Ursache dafür, dass die Insekten eine Resistenz gegen das bewährte Biomittel entwickeln konnten.
Seit 2005 wurden in Europa in rund 40 Apfelplantagen Apfelwicklerlarven dokumentiert, die gegen das Apfelwickler-Granulovirus, kurz CpGV genannt, resistent geworden waren. CpGV-Präparate sind biologische Pflanzenschutzmittel, die ausschließlich den Apfelwickler befallen. Sie sind damit besonders umweltschonend und dürfen auch im ökologischen Obstbau eingesetzt werden.
Die resistent gewordenen Apfelwickler zeigten eine bis zu 100.000-fache geringere Empfindlichkeit. Dies war der erste Fall einer Resistenz von Insekten gegenüber einem biologischen Pflanzenschutzmittel, das auf Viren basiert. Gemeinsame Forschungsarbeiten des JKI, des DLR-Rheinpfalz und der Herstellerfirmen führten zur Entwicklung neuer Präparate mit anderen wirksamen CpGV-Stämmen. Diese neuen Präparate sind mittlerweile zugelassen und bekämpfen Apfelwickler erfolgreich.
„Auch wenn unser erstes Interesse dem Auffinden neuer wirksamer Viren galt, wollten wir doch die Ursache für die äußerst ungewöhnliche Resistenz aufklären. Immerhin sind Mittel mit dem insektenspezifischen Virus zur Bekämpfung des Apfelwicklers in 34 Ländern weltweit registriert.
Nachdem wir die Genome mehrerer CpGV-Stämme, die gegen resistente Apfelwickler wirksam sind, vollständig sequenziert und mit dem Genom des unwirksamen Virusstamms CpGV-M verglichen hatten, erhärtete sich der Verdacht, dass die Resistenz der Apfelwicklerlarven mit dem Gen pe38 des Virus in Verbindung steht. Das Gen pe38 spielt für den Verlauf einer Infektion eine wichtige Rolle“, erläutert Jehle.
Die Forscher fanden, dass im Gen pe38 des unwirksam gewordenen Virusstammes (CpGV-M) 24 zusätzliche Nukleotide eingebaut sind, die in den wirksamen Viren nicht vorkommen. Der endgültige Nachweis, dass diese Veränderung im Gen pe38 mitverantwortlich für die Virusresistenz der Apfelwickler ist, gelang den Forschern folgendermaßen:
Wurde das Gen pe38 komplett aus dem Genom des unwirksamen Virus CpGV-M entfernt, konnten selbst empfindliche Apfelwicklerlarven nicht mehr infiziert werden. Das Gen pe38 ist demnach für den Infektionsprozess essentiell. Reparierten die Wissenschaftler das Genom von CpGV-M mit pe38 aus einem wirksamen Virusstamm, wurden alle Apfelwickler – auch resistente – erfolgreich infiziert.
Das Team um Jehle konnte somit eindeutig nachweisen, dass das virale Gen pe38 für die Infektion der Larven mit CpGV verantwortlich ist. Sie gehen weiter davon aus, dass in den zusätzlichen 24 Nukleotiden bei CpGV-M der Schlüssel liegt, warum die Apfelwicklerlarven resistent werden konnten. Allerdings ist noch unklar, welche Anpassungen auf genetischer Ebene in den resistenten Insekten erfolgt sind.
„Die Praxis ist über unsere Ergebnisse sicher erfreut. Die Resistenz der Apfelwickler richtet sich zum einen nur gegen den Virusstamm CpGV-M. Und mit dem entwickelten Genmarker pe38 können wir weitere wirksame Viren rasch und sicher aufspüren. Zum anderen konnte mit der Anwendung neuer CpGV-Stämme verhindert werden, dass sich die Resistenz ausbreitet. So bleibt vor allem dem ökologischen Apfelanbau ein wichtiges biologisches Mittel gegen den Apfelwickler erhalten“, so Jehle`s Fazit.
Originalpublikation:
Gebhardt, M., Eberle, K.E., Radtke, P. and Jehle, J.A., Baculovirus resistance in codling moth is virus-isolate dependent and the consequence of a mutation in viral gene pe38, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) (2014), Online Edition DOI: 10.1073/pnas.1411089111, www.pnas.org
Hintergrundinfos zu Granuloviren
Granuloviren gehören zur Familie der Baculoviren mit insgesamt 50 Arten. Allen gemeinsam ist, dass sie sich lediglich in ihrem jeweiligen Wirtsinsekt oder sehr nah verwandten Arten entwickeln können. Mit diesem sehr engen Wirtsspektrum eignen sie sich im biologischen Pflanzenschutz zur spezifischen umweltfreundlichen Bekämpfung von Schadinsekten. Die Viren werden dabei zum Beispiel auf die Blätter gesprüht, gelangen über die Nahrung der Larven der Wirtsinsekten in deren Darm, vermehren sich hier und töten das Insekt ab. Eines der weltweit bedeutendsten Viruspräparate ist das Apfelwicklergranulovirus (CpGV), das seit Anfang der 1990er Jahre spezifisch gegen die Larven des Apfelwicklers Cydia pomonella eingesetzt wird. CpGV-Präparate sind in 34 Ländern weltweit als hocheffizientes spezifisch wirkendes biologisches Präparat registriert. Die vor ca. 10 Jahren aufgetretene Resistenz gegen das Apfelwicklergranulovirus in Europa (vor allem im ökologischen Anbau, wo das Präparat oft ausgebracht wurde) richtet sich nur gegen den in Mexiko gefundenen Stamm CpGV-M. Es ist die erste überhaupt gegen ein kommerzielles Baculovirus-Präparat gerichtete Resistenz eines Wirtsinsekts. Andere CpGV-Stämme, die heute kommerziell eingesetzt werden, sind davon nicht betroffen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Johannes Jehle
Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen
Institut für Biologischen Pflanzenschutz
Heinrichstr. 243
64287 Darmstadt
Tel. +49-6151-407 220 /407-0
Email: johannes.jehle[at]jki.bund.de
http://www.pnas.org – Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) (2014), Online Edition
http://www.idw-online.de/de/news227361 – Presseinfo der BBA (jetzt JKI) zum Thema vom 27.9.2007
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Freistehendes Plasma mit hoher Energiedichte
Die Idee der Kernfusion begeistert Physiker:innen und Energiefachleute seit Jahrzehnten. Im Kern geht es darum, die physikalisch-chemischen Prozesse, die in der Sonne stattfinden, in vergleichbarer Form auf der Erde zu…
Hochsensitive Quantensensorik für die Medizin
NV-Diamant-Lasersystem mit zwei Medien erstmals erfolgreich demonstriert. Die Messung winziger Magnetfelder, wie sie etwa durch Hirnströme erzeugt werden, eröffnet der medizinischen Diagnostik und Behandlung viele neue Möglichkeiten. Das Forschungsteam um…
Neue Einblicke in die Ammoniakspaltung
Ein internationales Forschungsteam hat neue Erkenntnisse in die Funktionsweise eines Eisenkatalysators gewonnen, mit dem sich Ammoniak in Stickstoff und Wasserstoff spalten lässt. Wasserstoff wird zu Ammoniak umgewandelt, um den Energieträger…