Tübinger Forscher entschlüsseln wichtigen Signalweg bei Hirnerkrankung

Eine Eiweißverklumpung (Pfeil) inmitten des Zellkerns: Solche erkrankungstypischen Aggregate lassen sich verhindern, wenn der zuständige Transporter fehlt. Thorsten Schmidt, Universitätsklinikum Tübingen / Brain Pathology

Eine Gehirnzelle ist typischerweise in unterschiedliche zelluläre Bereiche unterteilt, unter anderem den Zellkern. Dort befindet sich einerseits das menschliche Erbgut. Andererseits bilden sich bei bestimmten Hirnerkrankungen genau im Zellkern charakteristische Eiweißklumpen.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Berlin, Lübeck und Paris konnten die Tübinger Forscher nun nachweisen, dass bei der untersuchten Hirnerkrankung, einer erblichen Ataxie, ein krankhaft verändertes Eiweiß nur in dem Fall zur Krankheit führt, wenn es in den Kern der Zelle gelangt: Wird es nicht in den Kern gebracht, bleibt es harmlos.

In der Zelle gibt es spezifische Transporter, die das Befördern von „Fracht“ zwischen den Zellbereichen koordinieren und so auch für den „Import“ in den Zellkern verantwortlich sind. In umfangreichen Studien konnten die Tübinger Wissenschaftler nun genau den Transporter identifizieren, der das krankmachende Eiweiß in den Kern einschleust.

Durch das gezielte Ausschalten des Transporters konnten die Forscher interessanterweise die Ausbildung der Eiweißklumpen ebenso verhindern, wie überhaupt das Auftreten der Erkrankung. Die Forscher machten sich dabei spezielle Maus- und Fliegenmodelle zu nutze.

Dr. rer. nat. Thorsten Schmidt, Leiter der Arbeitsgruppe SCA3 am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik und federführender Wissenschaftler der Studie erläutert dazu: „Für unsere Arbeit stellen diese Ergebnisse einen entscheidenden Durchbruch dar. Sie zeigen uns, an welcher Stelle wir ansetzen können, um endlich eine Therapie der Erkrankung zu entwickeln.“

Prof. Dr. med. Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor des Instituts, ergänzt: „Die hier gewonnenen Erkenntnisse gelten zunächst für die von der Arbeitsgruppe Dr. Schmidt untersuchte modellhafte Hirnerkrankung. Wir hoffen aber, dass die Erkenntnisse ebenso in die Forschung an weitaus häufigeren Krankheiten, wie Alzheimer oder Parkinson einfließen.“ Aktuell arbeiten die Wissenschaftler an der Frage, wie sich die hier gewonnenen Erkenntnisse auf andere Hirnerkrankungen übertragen lassen.

Publikation:
Sowa AS, Martin E, Martins IM, Schmidt J, Depping R, Weber JJ, Rother F, Hartmann E, Bader M, Riess O, Tricoire H, Schmidt T (2018) Karyopherin α-3 is a key protein in the pathogenesis of spinocerebellar ataxia type 3 controlling the nuclear localization of ataxin-3. Proc Natl Acad Sci U S A. pii: 201716071. doi: 10.1073/pnas.1716071115.

Das Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen gehört mit seinen mittlerweile über 120 Mitarbeitern zum Universitätsklinikum Tübingen und ist europaweit führend auf dem Gebiet der Humangenetik. Ärztlicher Direktor des Instituts ist Prof. Dr. med. Olaf Rieß.

Medienkontakt:
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik
Arbeitsgruppe SCA3
Arbeitsgruppenleiter Dr. rer. nat. Thorsten Schmidt
Calwerstrasse 7, 72076 Tübingen
Tel. 07071 29-72277
E-Mail thorsten.schmidt@med.uni-tuebingen.de

Media Contact

Bianca Hermle idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer