Rettende Wimpernschläge: Steinkorallen schützen sich mit einem körpereigenen Ventilator vor Umweltstress.

Mithilfe von winzigen Flimmerhärchen können Korallen die Strömungsverhältnisse in ihrer Umgebung beeinflussen und sich so vor schädlichen Sauerstoffkonzentrationen schützen
Julian Gutt
Julian Gutt/Alfred-Wegener-Institut

Sterbende Riffe und ausgbleichte Korallenstöcke: Der Klimawandel setzt Korallen massiv zu. Die Korallenbleiche greift durch das wärmer werdende Wasser immer weiter um sich. Doch nicht alle Korallen reagieren darauf gleich empfindlich. Ein internationales Team um Cesar Pacherres und Moritz Holtappels vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven sowie Soeren Ahmerkamp vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen hat nun eine mögliche Erklärung dafür: Mithilfe von winzigen Flimmerhärchen können Korallen die Strömungsverhältnisse in ihrer Umgebung beeinflussen und sich so vor schädlichen Sauerstoffkonzentrationen schützen.

Korallenriffe gehören nicht nur zu den artenreichsten Ökosystemen der Erde, sondern auch zu den wirtschaftlich wichtigsten. „Sie spielen zum Beispiel eine große Rolle für die Fischerei und den Tourismus“, sagt Moritz Holtappels. „Und als Wellenbrecher leisten sie sehr gute Dienste für den Küstenschutz.“ Entsprechend große Sorgen machen sich Fachleute um den Zustand der wertvollen Unterwasserstädte. Denn diese werden gleich von mehreren Seiten in die Zange genommen: Die Überdüngung und Versauerung der Ozeane machen ihnen ebenso zu schaffen wie eine zu intensive Fischerei. Und der Klimawandel führt immer häufiger zu den gefürchteten „Korallenbleichen“.

Diese entstehen, wenn den Baumeistern der Riffe das Wasser zu warm wird. Die meisten der kleinen Polypen, die diese beeindruckenden Kalkgebilde schaffen, leben in einer Symbiose mit Algen aus der Gruppe der Dinoflagellaten zusammen. Sie bieten diesen Organismen Schutz und bekommen im Gegenzug energiereichen Zucker und andere Produkte, die ihre Untermieter mithilfe des Sonnenlichts aus Kohlendioxid und Wasser herstellen. Dieser Photosynthese genannte Prozess aber wird bei zu hohen Temperaturen zum Problem. Statt die Korallen mit Energie zu versorgen, setzen die Algen dann sogar schädliche Substanzen frei. Also werfen die Polypen ihre Mitbewohner hinaus, der Korallenstock verliert seine Farbe – und stirbt dann oft ganz ab. „Dem fallen allerdings nicht alle Korallen eines Riffs zum Opfer“, erklärt Cesar Pacherres. „Einige bleichen schnell, andere gar nicht.“ Was aber steckt hinter diesen Unterschieden?

Um das herauszufinden, haben die Forscher das komplexe Zusammenleben zwischen der Steinkoralle Porites lutea und ihren grünen Mitbewohnern genauer unter die Lupe genommen. Eines der Probleme der Unterwasser-Wohngemeinschaft besteht demnach darin, dass bei der Photosynthese der Algen jede Menge Sauerstoff frei wird. Der ist zwar für die meisten Tiere und Pflanzen lebenswichtig. Zu viel davon kann aber gerade in warmem Wasser auch gefährlich werden. Denn bei zu hohen Konzentrationen verarbeitet der Photosynthese-Apparat der Algen verstärkt Sauerstoff statt Kohlendioxid. Das führt nicht nur zu einer weniger effektiven Energiegewinnung, es entstehen dabei auch gefährliche Sauerstoff-Radikale, die Zellen schädigen können. „Bei viel Sonnenlicht haben Korallen ein Problem, den überschüssigen Sauerstoff loszuwerden“, erklärt Cesar Pacherres. „Geringe Wasserbewegung und hohe Temperaturen fördern diesen sogenannten oxidativen Stress, der als Hauptursache für die Korallenbleiche gilt.“

Mit neuen Untersuchungsmethoden sind die Forscher nun der Spur des Sauerstoffs gefolgt. Dabei haben sie festgestellt, dass sich dessen Produzenten in den untersuchten Korallen keineswegs gleichmäßig verteilen. In manchen Bereichen sind die Algen viel dichter gesät als in anderen. „Wir hatten erwartet, dass wir über diesen Hotspots der Photosynthese auch die höchsten Sauerstoffkonzentrationen im Wasser finden würden“, sagt Soeren Ahmerkamp. „Überraschenderweise war aber genau das Gegenteil der Fall.“

Das steht im Gegensatz zur gängigen Theorie über den Stoffaustausch zwischen Korallen und ihrer Umgebung: Bisher hatte man nämlich angenommen, dass freigesetzte Substanzen beim Verlassen des Gewebes einfach durch Diffusion von den Regionen mit hoher zu solchen mit niedriger Konzentration wandern. Dann aber hätte sich dort am meisten Sauerstoff finden müssen, wo auch am meisten produziert wurde. Ein anderes Muster kann nur entstehen, wenn die Korallen das Element aktiv woanders hin transportieren. Und dank ausgeklügelter Überwachungstechnik wissen die Forscher inzwischen auch, wie sie das machen.

„Der Trick besteht darin, dass die Flimmerhärchen auf der Oberfläche der Korallen durch koordiniertes Schlagen kleine Wirbel erzeugen“, erläutert Soeren Ahmerkamp. Auf diese Weise können die Polypen die Strömung so beeinflussen, dass sie die Bereiche mit vielen Algen gezielt belüften. Dabei führen sie von oben sauerstoffarmes Wasser aus der Umgebung neben die Flecken mit den höchsten Algendichten. Dort wird es mit Sauerstoff beladen. Der aufsteigende Ast des folgenden Wirbels fließt dann wieder von den Korallen weg und entlässt seine Fracht ein Stück weiter oben ins Meer. Mithilfe eines Computermodells haben die Forscher das Zusammenspiel von Diffusion und Wimpernschlag an der Korallenoberfläche simuliert. Durch die Wirbel in der Nachbarschaft der Algen kann die Steinkoralle den Bereich mit kritischen Sauerstoffkonzentrationen demnach um die Hälfte reduzieren.

„Die festsitzenden Korallen sind also nicht auf Gedeih und Verderb der Meeresumwelt ausgeliefert, wie man bisher gedacht hat“, resümiert Moritz Holtappels. Den Stoffaustausch mit ihrer Umgebung gezielt zu beeinflussen und überschüssigen Sauerstoff wegzufächeln, kann für die Tierchen lebenswichtig sein – vor allem, wenn sie in Meeresregionen mit wenig Strömung wachsen. Allerdings ist dieses ausgeklügelte Ventilationssystem vermutlich nicht bei allen Korallen gleich gut ausgebildet. Das könnte erklären, warum manche bei widrigen Bedingungen so viel stärker ausbleichen als andere.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Soeren Ahmerkamp
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
Telefon: +49 421 2028-6380
Mail: sah­mer­ka@mpi-bre­men.de

Dr. Moritz Holtappels
Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Telefon: +49(471)4831-2030
Mail: moritz.holtappels@awi.de

Originalpublikation:

Cesar O. Pacherres, Soeren Ahmerkamp, Klaus Koren, Claudio Richter und Moritz Holtappels: Ciliary flows in corals ventilate target areas of high photosynthetic oxygen production. Current Biology (2022).
DOI: https://doi.org/10.1016/j.cub.2022.07.071

Media Contact

Dr. Fanni Aspetsberger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Wolken bedecken die Nachtseite des heißen Exoplaneten WASP-43b

Ein Forschungsteam, darunter Forschende des MPIA, hat mit Hilfe des Weltraumteleskops James Webb eine Temperaturkarte des heißen Gasriesen-Exoplaneten WASP-43b erstellt. Der nahe gelegene Mutterstern beleuchtet ständig eine Hälfte des Planeten…

Neuer Regulator des Essverhaltens identifiziert

Möglicher Ansatz zur Behandlung von Übergewicht… Die rapide ansteigende Zahl von Personen mit Übergewicht oder Adipositas stellt weltweit ein gravierendes medizinisches Problem dar. Neben dem sich verändernden Lebensstil der Menschen…

Maschinelles Lernen optimiert Experimente mit dem Hochleistungslaser

Ein Team von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL), des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT und der Extreme Light Infrastructure (ELI) hat gemeinsam ein Experiment zur Optimierung…

Partner & Förderer