Molekularer Superkleber stabilisiert Chromosomen
Fehlerhafte Teilungen können Tumore auslösen, zu Fehlgeburten führen oder Chromosomenschäden verursachen. Das Altern des molekularen Klebstoffs wird mit dem steigenden Risiko für Trisomien bei Kindern älterer Mütter in Zusammenhang gebracht.
Bereits vor siebzig Jahren erkannte der britische Genetiker Lionel Penrose, dass ältere Mütter sehr viel häufiger Kinder mit Down-Syndrom zur Welt brachten als junge Frauen. Über die Ursachen der Störung konnte man damals nur rätseln. Es dauerte weitere 25 Jahre bis zur Erkenntnis, dass Menschen mit Down-Syndrom eine zusätzliche Kopie des Chromosoms 21 tragen.
Trisomie 21, wie die Chromosomenabweichung daher bezeichnet wird, ist das Resultat einer fehlerhaften Zellteilung. Statt von jedem der 23 Chromosomen genau eine Kopie zu enthalten, besitzt die Eizelle in diesem Fall zwei Exemplare des Chromosoms 21. Solche Abweichungen der Cromosomenzahl kommen nicht selten vor. Meist bleiben sie jedoch unbemerkt, da sich aus dem befruchteten Ei kein lebensfähiger Organismus entwickelt.
Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Trisomie 21 zu gebären, steigt für Frauen zunächst mäßig, gegen das vierzigste Lebensjahr jedoch zunehmend steiler an. Das väterliche Alter spielt kaum eine Rolle. Der Zusammenhang wird plausibel, wenn man sich die Bildung der Keimzellen vor Augen hält. Ei- und Samenzellen entstehen aus Vorläuferzellen durch eine Abfolge von sehr komplexen Teilungsschritten. Dieser Vorgang, die Meiose, läuft bei männlichen und weiblichen Individuen unterschiedlich ab. Die erste Phase der Eizellbildung erfolgt bei Mädchen noch vor der Geburt. Die Meiose läuft allerdings nicht vollständig ab sondern wird quasi eingefroren – mindestens bis zur Pubertät. Erst mit dem vollständigen Ausreifen vollendet eine Eizelle die Reifeteilung.
Die Chromosomen der weiblichen Keimzellen verharren mitunter Jahrzehnte lang in einem Zustand, in dem die Erbsubstanz bereits verdoppelt ist, die beiden Stränge der verdoppelten Chromosomen jedoch noch zusammenhängen. Der molekulare Klebstoff, der diesen Zusammenhalt bewirkt, wurde vor über zehn Jahren von Forschern am IMP identifiziert und Cohesin getauft. Das Molekül legt sich wie ein Ring um die beiden Chromosomenstränge – die sogenannten Schwesterchromatiden – und hält sie so lange zusammen, bis es enzymatisch gespalten wird.
Ein Team von Zellbiologen um IMP Senior Scientist Jan-Michael Peters konnte nun die molekularen Details aufklären, die den Chromosomenklebstoff zum Superkleber machen. Die Forscher identifizierten einen Eiweißstoff namens Sororin, der dafür sorgt, dass die Cohesin-Verbindung äußerst stabil und langlebig ist. Wie wichtig die Funktion von Sororin ist, lässt sich auch daraus ableiten, dass das Molekül bereits bei wirbellosen Tieren gefunden wird und sich im Lauf der Evolution kaum verändert hat. Das Wissenschaftsjournal Cell berichtet in seiner aktuelle Ausgabe über die neuen Erkenntnisse.
Die „Verstärkung“ der Cohesin-Verbindung durch Sororin könnte auch eine erstaunliche Entdeckung untermauern, die ebenfalls vor kurzem veröffentlicht wurde. Aus Versuchen mit Mäusen zog ein Team der Mount Sinai School of Medicine (New York) den Schluss, dass der jahrzehntelange Zusammenhalt der Chromatiden in der Meiose tatsächlich von ein und demselben Molekül aufrecht erhalten wird und nicht etwa kontinuierlich erneuert wird. Vor diesem Hintergrund ist durchaus vorstellbar, dass die Verbindung mit den Jahren instabil wird und sich Chromatiden vorzeitig voneinander lösen, was zu unregelmäßiger Aufteilung des Erbmaterials führen kann.
„Dass defekte Cohesin-Verbindungen die Ursache der mit dem mütterlichen Alter zunehmenden Chromosomenschäden sind, kann nicht mehr angezweifelt werden“, meint Jan-Michael Peters. „Damit sind aber noch nicht alle Fragen nach den genauen Vorgängen beantwortet. Wir denken, dass wir einen Teil der Erklärung liefern können, doch das Thema Zellteilung wird uns noch lange beschäftigen.“
Die Arbeit „Sororin Mediates Sister Chromatid Cohesion by Antagonizing Wapl“ (Nishiyama et al.) esrcheint am 24. November 2010 in der Zeitschrift Cell.
Das IMP betreibt Grundlagenforschung im internationalen Firmenverband Boehringer Ingelheim. Seit 1988 bildet es den Kern des heutigen Campus Vienna Biocenter. Mit über 220 Mitarbeitern aus 30 Nationen widmet sich das IMP der Aufklärung von molekularen Vorgängen bei der Entwicklung von Organismen und der Entstehung von Krankheiten.
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