Hören mit den Schädelknochen

In dem neuen Modell sind die Bewegung der Basilarmembran und des Knochens (rote Linien) miteinander gekoppelt. Sie können sich daher gegenseitig zu Schwingungen anregen. (Die kleine graue Scheibe symbolisiert das Trommelfell und die schwarze Linie davor die Gehörknöchelchen.) © Tchumatchenko und Reichenbach

Das Ohr ein wichtiges Organ, mit dem wir die Welt um uns herum wahrnehmen. Nur wenigen von uns ist bewusst, dass wir nicht die äußere Hörmuschel sondern auch unsere Schädelknochen Vibrationen empfangen und weiterleiten können.

Auch unsere Schädelknochen können Schall empfangen und weiterleiten. Tatjana Tchumatchenko vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und Tobias Reichenbach vom Imperial College London haben nun gezeigt, dass Schwingungen im Knochen und im Innenohr miteinander gekoppelt sind. Diese Erkenntnisse könnten für die Entwicklung neuer Kopfhörer oder Hörgeräte entscheidend sein.

Unser Hörsinn, also die Fähigkeit Schallwellen wahrzunehmen, entsteht ausschließlich im Innenohr. Wenn sich Schallwellen in der Luft ausbreiten und unseren Gehörgang erreichen, regen sie je nach Frequenz, also Tonhöhe,  unterschiedliche Bereiche auf der sogenannten Basilarmembran im Innenohr zur Schwingung an. Diese mikroskopischen Vibrationen der Membran nehmen wir als Ton wahr. Das Innenohr ist jedoch von einem Kochen umgeben, der ebenfalls in Schwingung versetzt werden kann.

Mithilfe von Berechnungen zur Bewegung von Flüssigkeiten haben die Forscher jetzt herausgefunden, dass die Schwingungen des Knochens und der Basilarmembran miteinander gekoppelt sind, sie können sich also gegenseitig zur Schwingung anregen.

Dies führt zu faszinierenden Phänomenen, die mit dem neuen Modell jetzt verstanden werden können: So können zwei gleichzeitig im Innenohr ankommende Töne mit leicht unterschiedlichen Frequenzen einen Überlapp haben und dieselben Bereiche auf der Basilarmembran anregen. Durch eine Nichtlinearität der Membran entstehen im Innenohr Kombinationstöne, sogenannte otoakustische Emissionen.

Wie genau diese Töne das Innenohr verlassen und wie sich deren Ausbreitung innerhalb des Ohrs gestaltet  ist, ist aktuell Gegenstand wissenschaftlicher Debatte. „Wir haben gezeigt, dass die Kombinationstöne das Innenohr in Form einer schnellen Welle entlang der Knochenoberfläche verlassen können, und nicht wie früher angenommen mit Hilfe einer Basilarwelle“, erklärt Tatjana Tchumatchenko vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung.

Außerdem belegt das Modell, dass die Wanderwellen entlang der Basilarmembran genauso durch die Vibrationen des Innenohrknochens entstehen können wie durch die Schwingungen der Luft im Ohrkanal. „Dies erklärt beispielsweise, warum wir eine Stimulation des Knochens genauso hören können wie Schallwellen in der Luft“, sagt Tobias Reichenbach vom Imperial College London.

Mit diesen Ergebnissen können die Forscher das komplexe Zusammenspiel  zwischen der Dynamik von Flüssigkeiten und der Mechanik des Knochens innerhalb des Innenohrs besser verstehen. Damit könnten in Zukunft verbesserte klinische und kommerzielle Anwendungen der Knochenleitung entwickelt werden, wie zum Beispiel neuartige Kombinationen von Brillen und Kopfhörer.

Ansprechpartner 

Dr. Arjan Vink

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main

Telefon: +49 69 850033-2900
Fax: +49 69 850033-2999

 

Originalpublikation

 

Tatjana Tchumatchenko & Tobias Reichenbach

A cochlear-bone wave can yield a hearing sensation as well as otoacoustic emission

Nature Communications, 23. Juni 2014 (doi:10.1038/ncomms5160)

Media Contact

Dr. Arjan Vink Max-Planck-Institut

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