Genetische „Zeitreise“ über 50 Millionen Jahre

Fachleute für die Evolution australasiatischer Beuteltiere: Dr. Jürgen Schmitz und Dr. Liliya Doronina lösten jetzt das Rätsel um die Verwandtschaftsbeziehung der Possums
privat

Forschungsteam klärt die Verwandtschaftsbeziehung der Possums.

Wiedervereinigung im Tierreich: Die über Jahrzehnte von der Forschung getrennt betracheten australasiatischen Possums können wieder einer gemeinsamen Zukunft entgegensehen. Eine Studie am Institut für Experimentelle Pathologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster zeigt anhand von springenden Gene, dass alle Possums auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen sind. Die „Präsenz (1)“ beziehungsweise „Absenz (0)“ von 61 springenden Genen belegt eindeutig die gemeinsamen „Wurzeln“ aller australasiatischer Possums (Phalangeroidea und Petauroidea) – und eine nur entfernte Verwandtschaft dieser Beuteltiere zum Känguru.

„Sind wir verwandt?“, fragt der Kletterbeutler den Gleitbeutler. „Nein“, antwortet die Wissenschaft. Denn bisher wurde angenommen, dass die in Australien und Südostasien lebenden Possums, die Phalangeroidea (Kletterbeutler) und Petauroidea (Gleitbeutler), zu zwei Tiergruppen ohne direkten gemeinsamen Vorfahren gehören. Das Forschungsteam um Dr. Jürgen Schmitz und Dr. Liliya Doronina am Institut für Experimentelle Pathologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster konnte jetzt durch eine Untersuchung sogenannter springender Gene das Gegenteil beweisen. „Nach unseren Analysen ist unzweifelhaft, dass alle Possums einen gemeinsamen Ursprung haben“, kommentiert Schmitz die im Septemberheft von „Systematic Biology“ als Titelgeschiche publizierte Studie. Jetzt feiert das Team die „Wiedervereinigung“ der zu Unrecht lange getrennten Tiergruppen.

„Früher hat man auf der Basis morphologischer Daten bereits angenommen, dass Phalangeroidea und Petauroidea zu einer Verwandtschaftslinie gehören. Aber DNA-Analysen schienen das zu widerlegen“, erklärt Jürgen Schmitz. Bis jetzt ging die Wissenschaft von zwei quasi nicht verwandten Superfamilien, den Kletterbeutlern und den Gleitbeutlern, aus. Aber die früheren genetischen Untersuchungen waren widersprüchlich, deshalb entschieden sich Schmitz und sein Team, den Konflikt mit einer anderen Methode zu klären. „Im Gegensatz zu vorherigen Studien haben wir ein anderes, innovatives Markersystem verwendet und vorwiegend springende Gene anstelle von herkömmlichen DNA-Sequenzen untersucht“, sagt Jürgen Schmitz. Das sind mobile Genelemente, die durch Vererbung im Laufe der Artentwicklung an verschiedenen Stellen des Genoms eingebaut werden. Sie werden „short interspersed elements“ oder kurz SINEs genannt und sind eine zuverlässige Quelle, um Verwandtschaften in der Vielfalt der Biodiversität der Arten zu entdecken.

„Wenn wir zwei Tiergruppen finden, die ein springendes Gen an genau der gleichen Stelle im Genom haben, können wir sehr sicher sein, dass die miteinander verwandt sind. Durch Zufall passiert so etwas nicht“, erklärt Jürgen Schmitz. Seinem Team lag für die Untersuchungen das vollständig sequenzierte Genom der verschiedenen Beuteltierarten vor. Dadurch konnten tausende Stellen untersucht werden – zunächst durch eine computergesteuerte Vorauswahl, die dann per Hand und Auge verfeinert wurde. Den münsterschen Forschern gelang es, 61 Insertionen im Genom zu identifizieren, die bei allen Possumarten an der gleichen Stelle liegen. „Damit zeigen wir eindeutig, dass die Possums eine monophyletische Gruppe sind, das heißt, einen gemeinsamen Abstammungszweig bilden“, sagt Liliya Doronina.

Das Team reist damit 50 Millionen Jahre in der Zeit zurück und klärt einen wichtigen Teil der Entwicklungsgeschichte der Beuteltiere auf. Die Evolutionsbiologen sehen in ihrer Studie auch eine tiefere Botschaft: „Wir müssen die Menschen immer wieder wachrütteln, sich für die Biodiversität zu interessieren und einzusetzen“. In den letzten fünf Jahren sei die Zahl bedrohter Arten in Australien um acht Prozent gestiegen. Bedrohte Tiergruppen könnten durch eine zuverlässige Einschätzung der Verwandtschaft gezielt mit Hilfsprogrammen geschützt werden.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

PD Dr. Juergen Schmitz
Institute of Experimental Pathology (ZMBE)
University of Muenster
Von-Esmarch-Str. 56
D-48149 Muenster, Germany
Phon: +49 251 8353066
E-mail: jueschm@uni-muenster.de

Originalpublikation:

https://doi.org/10.1093/sysbio/syac025

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Dr. Kathrin Kottke Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfälische Wilhelms-Universität Münster

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