Gefährliche Liebschaften – erste Wirbeltierfossilien bei der Paarung gefunden

Fossile Funde bestehen weltweit hauptsächlich aus bruchstückhaften Überresten von urzeitlichen Tieren und Pflanzen. Manchmal jedoch findet man Fossilien, die erstaunliche Einblicke in das Leben und die Umwelt urzeitlicher Organismen bieten. Die zwischen Frankfurt und Darmstadt gelegene UNESCO-Welterbe Grube Messelist dafür bekannt, dass sie außergewöhnliche Funde in hoher Qualität hervorbringt.

In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Biology Letters“ publiziert ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Dr. Walter Joyce vom Fachbereich Geowissenschaften der Universität Tübingen unter Beteiligung des Senckenberg Forschungsinstitutes Frankfurt und des Hessischen Landesmuseums Darmstadt den Fund mehrerer fossiler Schildkrötenpaare, die offensichtlich während des Geschlechtsaktes umgekommen sind.

“Unter den vielen zehntausenden Fossilien aus der Grube Messel kommen nur diese Schildkröten als Paare vor”, sagt Mitautor Dr. Stephan Schaal, Leiter der Messelforschung am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt. Nach einer genauen Analyse stellten die Wissenschaftler fest, dass man Männchen und Weibchen unterscheiden kann, und dass jedes Paar aus jeweils einer weiblichen und einer männlichen Schildkröte besteht.
Obwohl die Männchen immer von den Weib-chen weggedreht vorgefunden wurden, erkennt man, dass die Schwän-ze einiger Männchen unter dem Panzer der Weibchen eingehakt sind. „Ich habe keinen Zweifel, dass diese Tiere vor etwa 47 Millionen Jahren während der Paarung starben“, sagt Walter Joyce. „Wir kennen keine anderen Belege für Wirbeltiere, die bei diesem wichtigen biologischen Prozess starben und danach versteinert wurden.“

Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass die Grube Messel als tiefer, vulkanischer Maarsee entstand, der Tiere und Pflanzen konservierte, die auf seinen vergifteten Grund herabsanken. Aber manche Details sind noch ungeklärt, beispielsweise ob das Wasser auch in den oberen Schichten giftig war. Die modernen Verwandten der versteinerten Schildkröten aus Messel haben eine durchlässige Haut, mit der sie atmen und für längere Zeit unter Wasser bleiben können. Diese hervorragende Anpassung wirkt jedoch tödlich, wenn die Schildkröten in giftiges Wasser geraten.

Dass die Messel-Schildkröten sich im See paarten, ist ein Beweis dafür, dass die oberen Schichten vermutlich nicht giftig, sondern vielmehr ein lebhaftes Biotop waren. Viele Schildkröten scheinen aber bei der Paarung gestorben zu sein, als sie versehentlich ins tiefere, giftige Wasser herabsanken.

Publikation: W. G. Joyce, N. Micklich, S. F. K. Schaal und T. M. Schey-er. Caught in the act: the first record of copulating fossil vertebrates. Biology Letters.

Kontakt:
Dr. Walter Joyce
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Geowissenschaften
Sigwartstr. 10
72070 Tübingen
Telefon +49 7071 29-78930
walter.joyce[at]uni-tuebingen.de
Dr. Stephan Schaal
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
Telefon +49 (0)69 7542-1250
sschaal@senckenberg.de

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Michael Seifert idw

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