Forscher weisen Barriere im Inneren des Fliegengehirns nach

Optischer Querschnitt durch ein Fliegengehirn. Grün: Verteilung des extrazellulären Matrix-Proteins “Trol”, das von allen umhüllenden Gliazellen gebildet wird. Die Unterteilung des Gehirns in unterschiedliche Reaktionsräume wird deutlich.
(c) WWU - Nicole Pogodalla und Christian Klämbt

Ein Forscherteam um Nicole Pogodalla und Prof. Dr. Christian Klämbt vom Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster wies nun erstmals eine zweite Barriere im Gehirn von Taufliegen (Drosophila melanogaster) nach – neben der bereits bekannten Blut-Hirn-Schranke.

Die im Gehirn liegenden Nervenzellen sind auf komplexe Weise über besondere Schaltstellen, die Synapsen, verknüpft. Sie benötigen eine stets gleichbleibende Umgebung, um verlässlich zu funktionieren. Um dies zu gewährleisten, ist das Gehirn von einer sogenannten Blut-Hirn-Schranke umgeben. Sie sorgt zum Beispiel dafür, dass der Nährstoffhaushalt stets gleichbleibt und schädliche Einflüsse nicht bis zu den Nervenzellen gelangen. Dies gilt für Tiere und Menschen gleichermaßen.

Für Insekten zeigte nun ein Team um Nicole Pogodalla und Prof. Dr. Christian Klämbt vom Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, dass es darüber hinaus eine zweite Barriere im Gehirn gibt. Diese innere Grenze ist für eine verlässliche Funktion des Nervensystems unabdingbar. Sie gewährleisten die räumliche Trennung von funktionellen Reaktionsräumen. Die Arbeit wurde in der renommierten Onlinezeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Das Forscherteam untersuchte das Insektengehirn am Beispiel von Larven der Taufliege (Drosophila melanogaster) und konzentrierte sich auf die Analyse des zweiten wichtigen Zelltyps, der in jedem Gehirn zu finden ist, die Gliazellen. Gliale Zellen übernehmen im Gehirn eine Vielzahl von verschiedenen Funktionen. Sie wirken bei der gezielten Verschaltung von Nervenzellen während der frühen Gehirnentwicklung mit und spielen eine wichtige Rolle bei der anschließenden Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Bei allen wirbellosen Tieren sowie bei primitiven Wirbeltieren legen Gliazellen zudem die Außengrenze des Nervensystems fest – die Blut-Hirn-Schranke.

Tief im Fliegengehirn liegen alle Synapsen in einer besonderen Region, die als Neuropil bezeichnet wird. Das Neuropil wird durch die umgebenden Gliazellen von der Zone mit den Zellkörpern der Nervenzellen (Neuronen) getrennt. Nicole Pogodalla entwickelte einen neuen experimentellen Ansatz – Farbstoff-Injektionen in lebende Larvengehirne –, der in Kombination mit der spezifischen Entfernung dieser Gliazellen gezeigt hat, dass diese Zellen tatsächlich eine Diffusionsbarriere bilden, also die Verteilung von Molekülen regulieren.

Da im Körper alle anderen zellulären Barrieren aus polarisierten Zellen gebildet werden, die über ein „Oben“ und ein „Unten“ verfügen, untersuchte das Forschungsteam im nächsten Schritt die Polarisierung der Gliazellen. Mit modernen konfokalen Bildanalysen sowie elektronenmikroskopischen Arbeiten in Kombination mit modernster molekularer Genetik deckten die Forscher auf, dass die umhüllenden Gliazellen um das Neuropil polarisiert sind. Sie zeigten, dass diese Polarisierung funktionell von großer Bedeutung ist, da Defekte in der Polarität zu einer veränderten Zellform und zu signifikanten Verhaltensunterschieden bei den Fliegenlarven führen: Die Bewegung von Larven mit defekten oder fehlenden Gliazellen ist beeinträchtigt, die Kriechgeschwindigkeit verlangsamt.

Das Forscherteam beschreibt in der aktuellen Veröffentlichung auch die Bedeutung von extrazellulärer Matrix – dem zwischen den Zellen liegenden Gewebe –, von Membranlipiden und Membranproteinen sowie die Funktion des Zytoskeletts für die Ausbildung der grenzbildenden Gliazellen. Die Studie beinhaltet umfangreiche elektronenmikroskopische Daten, die in einer Zusammenarbeit mit Dr. Albert Cardona am HHMI Janelia Research Campus in Ashburn, VA 20147, USA, gewonnen wurden.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte die Arbeiten im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1348 finanziell.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Nicole Pogodalla
University of Münster
Institute of Neuro- and Behavioral Biology
E-Mail: pogodall@uni-muenster.de

Originalpublikation:

Nicole Pogodalla, Holger Kranenburg, Simone Rey, Silke Rodrigues, Albert Cardona & Christian Klämbt (2021): Drosophila ßHeavy-Spectrin is required in polarized ensheathing glia that form a diffusion-barrier around the neuropil. Nature Communications, DOI:10.1038/s41467-021-26462-x

AG Klämbt: http://neurobio.uni-muenster.de/team-members

https://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=12137

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Dr. Christina Hoppenbrock Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
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