Festes Kohlendioxid im tiefen Erdinneren

Mikroskopaufnahme durch einen der beiden Stempeldiamanten auf das auf 27 GPa komprimierte feste CO2 (dunkler Fleck Bildmitte). © Martin Ende

Ein internationales Forschungsteam aus Wien und Florenz hat durch Messungen an der Europäischen Synchrotronstrahlquelle ESRF in Grenoble herausgefunden, dass freies CO2 2.500 km unter der Erdoberfläche in Form eines kristallinen Festkörpers bestehen kann und nicht zwingend zu Diamant und Sauerstoff zerfällt. Diese unerwartete Stabilität stellt die gängigen geochemischen Modelle des tiefen Erdmantels in Frage. Die Ergebnisse der Studie erscheinen aktuell im renommierten Fachjournal „Nature Communications“.

Nur ein Bruchteil des klimarelevanten Treibhausgases CO2 ist in der Atmosphäre unserer Erde freigesetzt. Der Hauptteil von Kohlendioxid ist in fester Form in Karbonatgesteinen gebunden, gelangt durch Plattentektonik in die Tiefe unseres Planeten oder wird durch vulkanische Eruptionen aus Gesteinsschmelzen wieder freigesetzt.

Mit über 99,9 Prozent Anteil am Gesamtkohlenstoff stellt die Lithosphäre bis in den tiefen Erdmantel den größten Kohlenstoffspeicher dar. Als Bestandteil langfristiger Kreisläufe sind jedoch die eigentlichen Reservoirs und der Austausch zwischen diesen mit zunehmender Tiefe nur bedingt bekannt.

Ein Forschungsteam aus Kristallographen um Ronald Miletich von der Universität Wien und Kollegen vom Europäischen Labor für Nichtlineare Spektroskopie (LENS) in Florenz lieferte nun neue Erkenntnisse zum Festkörperverhalten von Kohlendioxid bei hohem Druck und Temperatur.

Die Ergebnisse der aktuellen Studie stellen einerseits eines der bisherigen Modelle der Entstehung von Diamanten und andererseits auch geochemische Modelle eines oxidierten Erdmantels in Frage. In Experimenten komprimierten die ForscherInnen CO2 in einer sogenannten Diamantstempelzelle auf einen Druck von 1,2 Millionen bar. Dies entspricht einer Tiefe von etwa 2.500 km im unteren Erdmantel.

Mit Hilfe eines fokussierten Infrarot-Lasers erhitzten sie das zu einem glasartigen Festkörper verdichtete CO2 auf eine Temperatur von etwa 2.700 Kelvin, also auf jene Temperatur, die im Erdinneren in diesen Tiefen vorherrscht.

Kristallisation von festem CO2

Bei einem experimentellen Aufbau an der Europäischen Synchrotronstrahlquelle ESRF in Grenoble zeigte sich, dass CO2 sich bei diesen Temperaturen nicht zwingend, wie bisher angenommen, in Diamant und Sauerstoff zersetzt. „Unser Forschungsteam vor Ort konnte es anfangs nicht recht glauben, dass in den gemessenen Röntgen-Beugungsbildern die Peaks von kristallinem CO2-V auftauchten, also von jener Hochdruckmodifikation von festem CO2, die unter derartigen Bedingungen längst zu Diamant und Sauerstoff umgewandelt hätte sein müssen“, erklärt Ronald Miletich. Wenn CO2 tatsächlich instabil wäre, hätte diese beobachtete Rekristallisation einer mit dem Silikatmineral Cristobalit identischen Struktur keinesfalls erfolgen können.

Bisherige Zersetzung von CO2 nur experimentelles Artefakt

„Nun haben wir erstmals einen experimentellen Nachweis, dass freies CO2 tatsächlich in der Natur in diesen Tiefen existieren könnte. Auch konnten wir nachweisen, dass die bislang geglaubte Zersetzung nur ein experimentelles Artefakt ist, da extrem heißes CO2 mit einer der Komponenten der Diamantstempelzelle reagieren kann“, so Miletich.

Der Befund dieser Studie stellt nun die gängigen Modelle der Bildung von Diamanten durch einfache Zersetzung von instabilen Kohlendioxid in Frage. Darüber hinaus wirft es die Frage auf, ob vielleicht weitere bislang nicht in Erwägung gezogene Reaktionen des CO2 zu ganz neuen CO2-hältigen Hochdruckphasen möglich sind und so diese bzw. freies CO2 als neuartige Kohlenstoff-Reservoirs im untersten Erdmantel eine zentrale Rolle einnehmen können. Auch geochemische Modelle des oxidierten Erdmantels müssen neu hinterfragt werden.

Publikation in Nature Communications
Crystalline polymeric carbon dioxide stable at megabar pressures
Kamil F. Dziubek, Martin Ende, Demetrio Scelta, Roberto Bini, Mohamed Mezouar, Gaston Garbarino, Ronald Miletich
DOI: 10.1038/s41467-018-05593-8

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