Entzündungssignale im Zellkern entschlüsselt

Entzündliche Vorgänge spielen nicht nur eine wichtige Rolle bei der normalen Immunantwort, sondern auch bei häufigen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der Schuppenflechte, der Gicht oder auch bei bösartigen Tumoren.

Das Zusammenspiel der verschiedenen, an einer Entzündung beteiligten Zellen wird über körpereigene Botenstoffe, die sogenannten Zytokine, gesteuert. Interleukin-1 (IL-1) ist ein solcher Botenstoff, dessen pharmakologische Blockade beim Menschen bereits erfolgreich zur Behandlung einiger seltener Fiebererkrankungen eingesetzt wird.

In einer engen Zusammenarbeit konnten jetzt Forscherinnen und Forscher der Fachbereiche Medizin sowie Biologie und Chemie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) neue Erkenntnisse zu den genomweit ablaufenden Vorgängen bei der IL-1-Stimulation von Zellen aufklären. Sie charakterisierten dabei hunderte von IL-1-regulierten DNA-Bereichen, sogenannten Enhancern, und die für deren Regulation bedeutsamen Chromatinfaktoren.

Als Chromatin bezeichnet man die komplexen Strukturen aus Proteinen und DNA, die dazu dienen, unser Erbmaterial im Zellkern auf kleinstem Raum zu organisieren und dessen Aktivität präzise zu regulieren. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun der Fachzeitschrift „Cell Reports“.

Wenn Zellen in Kontakt mit IL-1 kommen, aktivieren sie sehr schnell und sehr stark einige hundert Gene, die zusammen den Entzündungsprozess steuern. Hierzu müssen die von IL-1 ausgelösten Signale vom Zelläußeren in das Zellinnere gelangen und dann im Zellkern höchst koordiniert verarbeitet werden. Dieser Prozess ist bisher nur sehr unvollständig verstanden.

„Am Standort Gießen haben wir in den vergangenen Jahren systematisch Strukturen und Verfahren etabliert, die uns erlauben, tausende von Elementen im menschlichen Genom zu untersuchen und so das Zusammenspiel von DNA, den Histonproteinen, um die herum die DNA „aufgewickelt ist“ und weiteren im Zellkern enthaltenen Chromatinfaktoren zu untersuchen“, erklärt der Genetiker Dr. Marek Bartkuhn. Er leitet das Bioinformatikprojekt im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten internationalen Sonderforschungsbereich Transregio 81 (SFB/TRR81) „Chromatin-Veränderungen in Differenzierung und Malignität“ an der Universität Gießen.

Gemeinsam kartierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über 45.000 Bindungsstellen des Transkriptionsfaktors NF-κB, einem zentralen genetischen Schalter von Immunvorgängen. Diese Untersuchungen zeigen, dass rund 1.500 dieser Bindungsstellen im Genom spezifisch durch IL-1 aktiviert werden. Zusätzlich fanden die beteiligten Gruppen der Institute für Pharmakologie und Biochemie heraus, dass die Blockade des NF-κB-Signalweges an drei Stellen jeweils ausreicht, um die durch IL-1 ausgelöste Antwort im Zellkern weitgehend aufzuheben und somit eine zelluläre Entzündungsreaktion zu verhindern.

„Die Untersuchung von intrazellulären Signalwegen ist eine der Kernkompetenzen unserer Institute und wir arbeiten seit Jahren gemeinsam daran, die beteiligten molekularen Prozesse insbesondere des NF-κB-Signalweges zu identifizieren“, erklärte Prof. Lienhard Schmitz, Biochemiker an der JLU. Bereits 2014 haben die drei Gießener Wissenschaftler ein anderes Signalsystem charakterisiert, das über den NF-κB-Signalweg Zellwachstum und Entzündung molekular verschaltet (Handschick et al., Mol. Cell, 2014).

„Bisherige Medikamente, die Zytokin-Wirkungen hemmen, sind sehr teuer, müssen gespritzt werden und blockieren die gesamte Reaktion einer Zelle“, erklärt der Pharmakologe Prof. Dr. Michael Kracht. „Unsere neuen Ergebnisse zeigen, dass es möglich sein könnte, sehr gezielt einzelne Genantworten während einer Entzündungsreaktion im Zellkern zu beeinflussen. In unserer Studie haben wir auch zwei pharmakologische Hemmstoffe charakterisiert, die spezifisch IL-1-vermittelte Chromatinreaktionen blockieren. Weltweit werden analoge Substanzen von vielen Gruppen experimentell getestet und könnten in den nächsten Jahren in Tablettenform zur Verfügung stehen.“ Von der DFG geförderte Forschungsverbünde wie der SFB/TRR81, der von Gießener, Marburger und Rotterdamer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegründet und 2014 erfolgreich verlängert wurde, seien daher extrem wichtig, um dieses vielversprechende Forschungsfeld weiterzuentwickeln, so Prof. Kracht.

Publikationen:
1. Jurida, L., Soelch, J., Bartkuhn, M., Handschick, K., Müller, H., Newel, D., Weber, A., Dittrich-Breiholz, O., Schneider, H., Bhuju, S., Saul, V.V., Schmitz, M.L., Kracht, M. The activation of IL-1-induced enhancers depends on TAK1 kinase activity and NF-κB p65. (2015). Cell Reports 10, 1-14 (in press), online veröffentlicht am 5. Februar 2015
DOI: 10.1016/j.celrep.2015.01.001
2. Handschick, K., Beuerlein, K., Jurida, L., Bartkuhn, M., Müller, H., Soelch, J., Weber, A., Dittrich-Breiholz, O., Schneider, H., Scharfe, M., Jarek, M., Stellzig, J., Schmitz, M.L., Kracht, M. (2014). Cyclin-dependent kinase 6 is a chromatin-bound cofactor for NF-κB-dependent gene expression. Mol. Cell 53(2), 193-208. DOI: 10.1016/j.molcel.2013.12.002

Kontakt:
Prof. Dr. med. Michael Kracht
Justus-Liebig-Universität Gießen
Biomedizinisches Forschungszentrum Seltersberg (BFS)
Rudolf-Buchheim-Institut für Pharmakologie
Schubertstraße 81, 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-47600 oder -39740
E-Mail: michael.kracht@pharma.med.uni-giessen.de

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