Einzigartige Fortpflanzungsmechanismen beim Eurasischen Luchs

Der Bestand des Eurasischen Luchses erholt sich. Foto: Painer/IZW

Der Gelbkörper (Corpus luteum) der Eurasischen Luchse (Lynx lynx) besitzt die längste Lebensdauer unter allen bislang bekannten Säugetieren. Diese Hormon produzierenden Drüsen sind beim Eurasischen Luchs dafür verantwortlich, dass sie nur einen Östrus (Eisprung) im Jahr haben und daher nur einmal pro Jahr trächtig werden können. Das gilt vermutlich auch für den Iberischen Luchs. Dieses Ergebnis veröffentlichte ein internationales Forscherteam jetzt im Wissenschaftsjournal PLOS ONE.

WissenschaftlerInnen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin nutzen den Eurasischen Luchs als „Modellart“. Sie haben seinen Fortpflanzungszyklus erforscht, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse für die Erhaltungszucht der weltweit am meisten bedrohten Wildkatzenart, dem Iberischen Luchs, einzusetzen.

Derzeit leben 149 Exemplare in menschlicher Obhut und 309 in freier Wildbahn. Die freien Wildkatzen kommen in zwei Gebieten in Spanien vor. Die Erhaltungszuchtzentren in Spanien und Portugal spielen daher eine zentrale Rolle für das Überleben des Iberischen Luchses. Erfolgreich nachgezüchtete Tiere werden ohne Kontakt zum Menschen aufgezogen und anschließend ausgewildert. Um die Nachzucht zu optimieren, ist es von wesentlicher Bedeutung, die Besonderheiten der Fortpflanzung zu verstehen.

Die WissenschaftlerInnen des IZW fanden heraus, dass Luchse eine einzigartige Fortpflanzungsstrategie unter Katzenartigen (Felidae) aufweisen, bei der sie die Gelbkörper – diese sind für die Produktion des Trächtigkeitshormons Progesteron zuständig – über viele Jahre in den Eierstöcken erhalten können.

Damit besitzen Luchse Gelbkörper mit der längsten bei Säugetieren bekannten Lebensdauer. Bei anderen Tierarten verschwinden Gelbkörper bei weiblichen Tieren vor oder kurz nach der Geburt von Jungen. Überraschenderweise sind Luchse dazu in der Lage, die Produktion von Progesteron zu reduzieren, wenn ein neuer Zyklus im Frühjahr beginnt, ohne die Gelbkörper dabei zu zerstören.

Anschließend wird die Progesteron-Produktion wieder aufgenommen und konstant beibehalten, wodurch eine Follikelentwicklung in den Eierstöcken unterdrückt wird. Dadurch wird ein zweiter Eisprung innerhalb desselben Jahres verhindert. Kommt es bei einem Weibchen während der fünf bis sieben fruchtbaren Tage im Jahr nicht zu einer Paarung, verliert das Tier eine vollständige Fortpflanzungssaison. Für stark dezimierte Populationen, wie beim Iberischen Luchs, kann das dramatische Auswirkungen auf die Populationsentwicklung haben.

Johanna Painer vom IZW berichtet: „In der Studie zum Eurasischen Luchs verfolgte unser internationales Team über fast drei Jahre hinweg den Reproduktionszyklus von Luchsweibchen. Die Luchse stammten aus deutschen Zoos und aus der freien Wildbahn in Norwegen. Mit Unterstützung des norwegischen Wildtierprojektes ‚Scandlynx‘ war es uns möglich, auch freilebende Tiere zu erforschen.“ Für die Untersuchungen kamen hochmoderne Ultraschall-Geräte zur Erzeugung dreidimensionaler Bilder der inneren Reproduktionsorgane und im IZW durchgeführte Hormonanalysen zum Einsatz. So war es den Forschern möglich, den mysteriösen Zyklus zu enträtseln.

In Europa sind zwei Luchsarten beheimatet, der Eurasische Luchs (Lynx lynx) und der Iberische Luchs (Lynx pardinus). Beide Arten mussten während des letzten Jahrhunderts drastische Verluste in ihren Populationsgrößen erleiden. Während sich der Bestand des Eurasischen Luchses durch erfolgreiche Wiederansiedlungsprojekte in vielen Gebieten erholt, brach die Population des Iberischen Luchses vollständig ein. Der Iberische Luchs wurde von der „Internationalen Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen (IUCN)“ als die weltweit am meisten bedrohte Wildkatzenart eingestuft. Für die Zukunft ist es ungewiss, ob Luchse die Möglichkeit haben, ihre Fortpflanzungsmechanismen an die durch Menschen beeinflussten Umweltbedingungen anzupassen.

Die vorliegende Studie bietet grundlegendes Wissen für den erweiterten Einsatz von assistierten Reproduktionstechniken in der Erhaltungszucht des Iberischen Luchses. Techniken wie künstliche Besamung und Embryo-Transfer können ohne Kenntnisse der besonderen Reproduktionsbiologie nicht entwickelt werden. Zukünftige Forschungsvorhaben werden ihren Fokus auf die positive Beeinflussung der Reproduktionsleistung richten, um den Erfolg des Erhaltungszuchtprogramms zu verbessern. Dafür müssen die molekularen Mechanismen, die hinter diesem einzigartigen Zyklus-System stecken, entschlüsselt werden. 

Publikation:
Painer J, Jewgenow K, Dehnhard M, Arnemo JM, Linnell JDC, Odden J, Hildebrandt TB, Goeritz F (2014): Physiologically persistent corpora lutea in Eurasian Lynx (Lynx lynx) – longitudinal ultrasound and endocrine examinations intra-vitam. PLOS ONE

Kontakt:
Leibniz-Institut für Zoo und Wildtierforschung (IZW)
Johanna Painer
Tel.: +49 30 5168-446
painer@izw-berlin.de

Steven Seet
(Öffentlichkeitsarbeit)
Tel.: +49 30 5168-125
seet@izw-berlin.de

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