NATURE: RUB-Forscher berichten über Einblicke in die Evolution

Ein Beispiel für die erstaunliche Flexibilität von photosynthetischen Proteinkomplexen haben Forscher der Arbeitsgruppe von Dr. Jochen Kruip (Lehrstuhl für Biochemie der Pflanzen, Prof. Dr. Matthias Rögner) in Zusammenarbeit mit Forschern der Universitäten Bielefeld und Groningen (NL) gefunden. Sie konnten erstmals die molekulare Funktion des Proteinkomplexes IsiA nachweisen, den Blaugrüne Algen bei Eisenmangel bilden: Mit seiner Hilfe passen sich die Organismen den veränderten Lebensbedingungen an, indem sie ihre Antennen vergrößern, so dass sie mehr Sonnenlicht zur Photosynthese einfangen können. NATURE berichtet in der Ausgabe vom 16. August 2001 über den spektakulären Fund.

Ob einfach oder hochentwickelt: Photosyntheseprinzip ist immer ähnlich
Bei der Photosynthese wandeln Organismen Lichtenergie in chemische Energie um. Sie verwenden dabei die Energie des Sonnenlichtes zur Synthese von Kohlenhydraten aus dem Kohlendioxid (CO2) der Luft. Dieser Prozess läuft – unabhängig von der Entwicklungsstufe des Organismus – immer nach einem ähnlichen Prinzip ab. Zur Untersuchung der Photosynthese eignen sich besonders einfache Organismen wie Cyanobakterien (Blaugrüne Alge). Cyanobakterien sind eine sehr alte Organismengruppe, die auch heute noch einen großen Anteil der jährlich produzierten Biomasse ausmacht. Im Laufe der Erdentwicklung haben sie den Sauerstoff produziert, der uns unser Leben ermöglicht.

Antennen fangen das Licht ein
Um Energie aus Sonnenlicht zu gewinnen, absorbiert die Alge das Licht mit bestimmten Antennenpigmenten. Von den Pigmenten wird das Licht dann zu den Reaktionszentren von zwei Proteinkomplexen, den Photosystemen I und II (PS I und PS II) geleitet. Cyanobakterien haben neben Chlorophyllmolekülen, die an die Photosysteme gebunden sind, auch so genannte Phycobilisomen, die als äußere Antennenkomplexe für die Bereitstellung von Lichtenergie verantwortlich sind.

Neuer Proteinkomplex bei Eisenstress
Das Wachstum der Cyanobakterien ist in ihren natürlichen Lebensräumen – Süß- und Meerwasser – häufig durch eine geringe Eisenkonzentration begrenzt. Bei Eisenmangel werden jedoch Phycobilisomen, die normalen Antennenproteine, abgebaut. Als Reaktion bilden die Algen neue Proteine, die es ihnen erlauben, weiter zu wachsen. Mengenmäßig am stärksten entsteht das IsiA-Protein, dessen molekulare Funktion die Biologen nun erstmals aufklären konnten. Sie verglichen die Zusammensetzung des weitverzweigten inneren Membransystems der Zelle, der Thykaloidmembran, in der sich die Photosystem-Komplexe befinden, unter normalen Wachstumsbedingungen und unter Eisenstress. Unter Eisenstress fanden sie in der Zelle weniger PS I, das normalerweise dominiert. Dafür tauchte jedoch ein neuer Membranprotein-Komplex auf, den die Bochumer Forscher bis zur Homogenität aufreinigten. Biochemische Untersuchungen zeigten, dass der neue Komplex zum einen alle PS I-Untereinheiten enthält, zum anderen aber noch zusätzliche Bestandteile aufweist.

60 Prozent größere Antennen
Mit Hilfe von Dr. Markus Piotrowski (Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie, Prof. Dr. Elmar Weiler) konnten die Wissenschaftler das unbekannte Protein als IsiA Protein identifizieren. Die molekulare Masse des Gesamtkomplexes war mit 1700 kDa (Kilodalton) weit größer als die von PS I (900 kDa). Elektronenmikroskopische Untersuchungen an der Universität Groningen (NL, Dr. Egbert Boekema) brachten schließlich die Lösung: Der Komplex bestand aus trimerem PS I, das von einem Ring aus 18 IsiA-Molekülen umgeben ist. Diese Moleküle haben zusätzliche Chlorophylle gebunden. Die PS I-Antenne vergrößerte sich dadurch um 60 Prozent – die Alge kann so mehr Licht einfangen und den Eisenmangel kompensieren.

Einsichten in die Evolution
Mit der Beschreibung dieses neuen Proteinkomplexes haben die Forscher ein Beispiel für die hohe Flexibilität von photosynthetischen Proteinkomplexen gefunden. Ihre Erkenntnisse können außerdem helfen, durch genauere Daten über den CO2-Verbrauch in den Ozeanen bessere Klimamodelle zu berechnen. Auf lange Sicht könnten sie auch in die Planung schonender, biologischer Energiegewinnungsanlagen eingehen.

Titelaufnahme
Boekema, E.J., Hifney, A., Yakushevska, A.E., Piotrowski, M., Keegstra, W., Berry, S., Michel, K.-P., Pistorius, E.K. & Kruip, J.: A giant chlorophyll-protein complex induced by iron-deficiency in cyanobacteria. Nature, Nr. 412, S. 745-748,16.08.2001

Weitere Informationen
Dr. Jochen Kruip, Dr. Stefan Berry,
Fakultät für Biologie der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum,
Tel. 0234/32-25814,
Fax: 0234/32-14322,
E-Mail: jochen.kruip@ruhr-uni-bochum.de

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Dr. Josef König idw

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