Arktische Aerosole helfen, die regionale Erwärmung besser zu verstehen

Die Forschungsstation Alert in Kanada ist einer der Standorte, an denen Daten für die Untersuchung von Aerosolen in der Arktis gesammelt wurden.
Andrew Platt

Forschende der ETH Lausanne und des Paul Scherrer Instituts PSI haben die chemische Zusammensetzung und die Herkunft sowohl natürlicher als auch menschengemachter Aerosole in einem Gebiet untersucht, das sich von Russland bis Kanada erstreckt. Ihre Ergebnisse liefern einzigartige Erkenntnisse, die der Wissenschaftsgemeinde helfen, den Klimawandel in der Arktis besser zu verstehen und wirksame Massnahmen zur Verringerung der Verschmutzung zu entwickeln. Möglich wurde diese Arbeit durch die Kooperation von Forschenden aus drei Kontinenten.

Die winzigen, in der Luft schwebenden Partikel namens Aeorosole spielen eine wichtige Rolle bei der Erwärmung und Abkühlung unseres Planeten, aber ihre Auswirkungen sind noch immer nicht vollständig geklärt. Diese Teilchen können in der Natur vorkommen und stammen dann beispielsweise aus Vulkanen, Wäldern und Ozeanen. Oder sie entstehen durch menschliche Aktivitäten zum Beispiel in der Industrie und durch die Nutzung fossiler Brennstoffe. Sie interagieren mit der Sonnenstrahlung, indem sie diese entweder in den Weltraum reflektieren und so die Temperatur der Erde senken, oder sie absorbieren die Sonnenstrahlung und erhöhen die Temperatur. Sie sind auch wesentlich für die Bildung von Wolken, die ebenfalls eine Rolle bei der Abkühlung oder Erwärmung des Planeten spielen, indem sie die Sonnenstrahlung in den Weltraum zurückstrahlen oder die Abstrahlung der Erde wieder auf die Erde zurückwerfen. Die Wolkenbildung in der Arktis ist besonders empfindlich in Bezug auf Aerosole.

Um einen tieferen Einblick in diese Zusammenhänge zu gewinnen, analysierten Forschende des Forschungslabors für extreme Umweltbedingungen, das an der ETH Lausanne (EPFL) von Julia Schmale geleitet wird, und des PSI-Labors für Atmosphärenchemie unter der Leitung von Imad El Haddad über mehrere Jahre Proben von acht Forschungsstationen, die die gesamte arktische Region abdecken. Die Arktis ist für das Verständnis des Klimawandels von entscheidender Bedeutung, da die Temperatur dort zwei- bis dreimal schneller ansteigt als auf dem Rest des Planeten. «Wenn wir wissen, welche Art von Aerosolen in verschiedenen Gebieten und zu verschiedenen Jahreszeiten vorhanden ist und welchen Ursprung und welche Zusammensetzung diese Aerosole haben, können wir besser verstehen, wie sie zum Klimawandel beitragen», sagt Schmale. «Das wird uns auch helfen, gezieltere Massnahmen zur Verringerung der Verschmutzung zu entwickeln.» Die Studie wurde von Vaios Moschos im Rahmen seiner Doktorarbeit durchgeführt, die von Schmale und El Haddad gemeinsam betreut wurde.

Im Winter dominiert der menschliche, im Sommer der natürliche Anteil

In einer ersten Studie untersuchten die Forschenden gezielt organische Aerosole. Über diese Aerosole liegen bislang noch wenig Daten vor, obwohl sie nahezu 50 % des gesamten Feinstaubs ausmachen. Die Forschenden analysierten in dieser Studie die chemische Zusammensetzung von Proben, die in der Arktis genommen wurden, und stellten fest, dass im Winter die meisten der Aerosole auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen waren. Sie führen dies auf den arktischen Dunst zurück, der jedes Jahr auftritt, wenn Emissionen aus der Ölförderung und dem Bergbau in Nordamerika, Osteuropa und Russland in die Arktis getragen werden und sich dort während des Winters festsetzen.

Für den Sommer hingegen ergab die Studie, dass die meisten organischen Aerosole aus natürlichen Quellen stammen. Das liegt daran, dass der Transport von anthropogenen Aerosolen aus den mittleren Breiten in die Arktis während der wärmeren Monate abnimmt und die Emissionsrate biogener Aerosole oder ihrer Vorläufer in den hohen Breiten ansteigt. «Wir haben nicht erwartet, dass wir so viele natürlich vorkommende organische Aerosole sehen würden», sagt Schmale. «Diese Partikel stammen sowohl aus borealen Wäldern als auch aus Phytoplankton, einem Mikroorganismus, der in den Ozeanen lebt. Hier sehen wir wohl eine Folge der globalen Erwärmung: In dem Masse, in dem sich die Wälder nach Norden ausdehnen und der Permafrostboden auftaut, können mehr organische Moleküle vom Land freigesetzt werden; und wenn sich das Meereis zurückzieht, ergibt sich mehr offener Ozean und somit Platz für mikrobielle Emissionen.»

Rolle des schwarzen Kohlenstoffes im Klimawandel

In einer weiteren Studie verwendeten die Forschenden der EPFL und des PSI die gleichen Proben, analysierten aber die Zusammensetzung und Herkunft aller Aerosole, also sowohl der organischen als auch der anorganischen. Unter den anorganischen Aerosolen fanden sie unter anderem schwarzen Kohlenstoff, Sulfat und Meersalz. Besonders der Schwarze Kohlenstoff weckte ihre Aufmerksamkeit, da bekannt ist, dass er die Sonnenstrahlung absorbiert und zur globalen Erwärmung beiträgt. «Wir wussten, dass der Ausstoss von schwarzem Kohlenstoff in Regionen mit Öl- und Gasförderanlagen hoch ist, aber wir hatten keine parallelen Messungen in der gesamten Arktis, um zu verstehen, wie gross ihr Einflussbereich ist», sagt Schmale. «Dank der in dieser Studie gesammelten Daten waren wir in der Lage, die Konzentrationen und die Herkunft von schwarzem Kohlenstoff in jeder arktischen Region über das ganze Jahr hinweg zu kartieren und die am besten geeigneten Massnahmen zu empfehlen.»

Die Forschenden konnten die Studien dank einer einzigartigen Gemeinschaftsleistung durchführen, an der Forschende aus Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Italien, Kanada, Norwegen, Russland, Slowenien und den USA beteiligt waren. Die acht Forschungsstationen, an denen die Proben gesammelt wurden (siehe Liste unten), werden von Forschungsgruppen aus verschiedenen Ländern betrieben. Die Proben wurden in den beiden Laboren in der Schweiz analysiert. El Haddad erklärt: «Die Analyse organischer Aerosole erfordert Massenspektrometer, also teure, hoch entwickelte Instrumente, sowie geschulte Fachleute. Auch deshalb haben wir noch wenig Daten aus der Arktis zu diesem Thema. Unser Labor steht an der Spitze der Forschung über organische Aerosole und ihre Herkunft.»

Die Proben wurden an den folgenden Forschungsstationen entnommen:

Alert, Kanada
Baranova, Russland
Gruvebadet, Norwegen
Pallas, Finnland
Tiksi, Russland
Utqiagvik, USA
Villum, Grönland
Zeppelin, Norwegen

Diese Forschung wurde finanziert durch:

Horizon 2020 Rahmenprogramm der Europäischen Union 231 über das ERA-PLANET (The European Network for observing our changing Planet) Projekt iCUPE 232 (Integrative and Comprehensive Understanding on Polar Environments) unter der Vertragsnummer 233 689443
Das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI; Vertrag Nr. 234 15.0159-1)
Das SNF-Stipendium für wissenschaftlichen Austausch «Source apportionment of Russian Arctic aerosols», 237 (SARAA; Nr. 187566)

Text: Erstellt auf der Grundlage einer Medienmitteilung der ETH Lausanne

Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Julia Schmale
Leiterin des Forschungslabors für extreme Umweltbedingungen
School of Architecture, Civil and Environmental Engineering (ENAC)
ETH Lausanne (EPFL), rue de l’Industrie 17, case postale 440, 1951 Sion, Schweiz
Telefon: +41 21 695 82 69, E-Mail: julia.schmale@epfl.ch [Deutsch, Englisch, Französisch]

Dr. Imad El Haddad
Leiter des Labors für Atmosphärenchemie ad interim
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 29 95, E-Mail: imad.el-haddad@psi.ch [Englisch]

Originalpublikation:

Equal abundance of summertime natural and wintertime anthropogenic Arctic organic aerosols
V. Moschos et al.
Nature Geoscience, 28. Februar 2022 (online)
DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41561-021-00891-1

Elucidating the present-day chemical composition, seasonality and source regions of climate-relevant aerosols across the Arctic land surface
V. Moschos et al.
Environmental Research Letters, 28. Februar 2022 (online)
DOI: https://dx.doi.org/10.1088/1748-9326/ac444b

Weitere Informationen:

http://psi.ch/de/node/50297 – Darstellung der Mitteilung auf der Webseite des PSI mit Bild- und Videomaterial
https://www.psi.ch/de/media/forschung/aerosolbildung-in-wolken – Aerosolbildung in Wolken – Medienmitteilung vom 24. März 2021
https://www.psi.ch/de/media/forschung/iodsaure-beeinflusst-wolkenbildung-am-nord… – Iodsäure beeinflusst Wolkenbildung am Nordpol – Text vom 1. Oktober 2020

Media Contact

Dr. Mirjam van Daalen Abteilung Kommunikation
Paul Scherrer Institut (PSI)

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer