Affenpocken: Neue Wirkstoffe gegen einen gefährlichen Erreger
Pockenviren stellen für die Menschheit eine ernstzunehmende Bedrohung dar, wie der aktuelle Ausbruch der Affenpocken zeigt. Ein Forschungsteam der Uni Würzburg arbeitet jetzt an der Entwicklung neuer Medikamente.
Die Coronapandemie ist noch lange nicht abgehakt, da sorgt erneut ein Virus für Aufregung: „Internationaler Ausbruch von Affenpocken“ hieß es vor wenigen Wochen in den Medien, und danach folgten tägliche Schlagzeilen nach dem Muster „Erster Fall von Affenpocken in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin …“ Meldungen wie die des Bayerischen Rundfunks – „Studie: Affenpocken-Erreger mutiert schneller als gedacht“ – oder des Spiegel – „Arzt über Affenpocken: ‚Der Zeitpunkt, wo man das Virus noch ganz hätte stoppen können, ist vorbei‘“, trugen danach nicht wirklich zur Beruhigung bei.
Und spätestens seit die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 23. Juli den Affenpocken-Ausbruch in mehr als 50 Ländern zu einer „Notlage von internationaler Tragweite“ erklärt hat, sollte allen klar sein: Viren können jederzeit Artengrenzen überspringen und beim Menschen neuartige Krankheiten, so genannte Zoonosen, verursachen. Im Extremfall können sie sogar eine erneute Pandemie auslösen.
Innovative Ansätze für die Medikamentenentwicklung
In diesem Zusammenhang erscheint es mehr als passend, dass jetzt an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) ein neues Forschungsprojekt die Arbeit aufnimmt, das sich genau mit diesem Thema beschäftigt. „A structure-based approach to combat zoonotic poxviruses” lautet sein Titel.
Die VolkswagenStiftung finanziert das Projekt mit rund 700.000 Euro, verantwortlich dafür sind Professor Utz Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie an der JMU, und sein Mitarbeiter Dr. Clemens Grimm. Mit im Boot ist die Intana Bioscience GmbH, ein Biotech-Unternehmen aus der Nähe von München mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Wirkstoffe. Pockenviren stehen in diesem Projekt im Mittelpunkt.
Pockenviren tragen ein hohes Gefährdungspotenzial
„Wir wissen, dass Tiere viele Arten von Viren in ihrem Organismus tragen, die für den Menschen zur Gefahr werden können“, sagt Utz Fischer. Leider lasse sich nicht vorhersagen, welche von ihnen als nächstes zum Sprung über die Artengrenzen ansetzt. Klar ist jedoch, dass einige Viren ein höheres Potenzial besitzen als andere und deshalb für die Menschheit bedrohlicher sind – Pockenviren rangieren in dieser Liste ganz oben. Ziel des Projekts ist es deshalb, neue Ansätze für neuartige Medikamente gegen die Pockenerreger zu entwickeln. Die Wissenschaftler suchen dafür nach Substanzen, die in den Prozess der viralen Transkription eingreifen und so die Viren daran hindern, sich zu vermehren.
Fischer und sein Team können dabei auf Erkenntnisse zurückgreifen, die sie im vergangenen Herbst der Öffentlichkeit vorgestellt haben. „Uns ist es gelungen, die Genexpressionsmaschinerie des Pockenvirus auf atomarer Ebene zu visualisieren“, erklärt der Biochemiker. Wie im Film lässt sich jetzt beobachten, wie die molekularen Maschinen vorgehen, wenn das Virus sich vermehrt. Die Aufnahmen zeigen detailliert die Arbeitsweise der beteiligten Akteure während der frühen Phase der Transkription. Auf dem YouTube-Kanal der Uni sind die kurzen Filme zu sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=9Ij9iFks-NE
https://www.youtube.com/watch?v=KPHGoHxsAOA
Ein Ansatz, der auch bei der Schweinepest greifen kann
Bei der Suche nach Wirkstoffen, die diese molekularen Maschinen lahmlegen können, kommt dem Team ein besonderer Umstand zugute: Während sich viele Viren in großem Umfang der biochemischen Ausstattung der Wirtszelle bedienen, um sich zu vermehren, kodieren Pockenviren hierfür eine eigene molekulare Maschinerie in ihrem Genom. Wichtige Bestandteile dieser Maschinerie sind zwei Enzyme, die DNA-Polymerase, die die viralen Gene vervielfältigt, und die RNA-Polymerase, die die viralen Gene in mRNA umschreibt.
Diese einzigartige Replikationsstrategie bietet die Chance, nach Hemmstoffen viraler Schlüsselkomplexe und Enzyme zu suchen, die genau an dieser Stelle angreifen und somit die Wirtszellen verschonen – also im Idealfall frei von Nebenwirkungen sind. Sollte es dem Team gelingen, solche Moleküle zu identifizieren und zu designen, könnte es sogar sein, dass es zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: „Da der Transkriptionsapparat der Pockenviren dem der Asfarviridae-Arten sehr ähnlich ist, wird unsere Forschung auch für die wirtschaftlich hochbedrohliche Schweinepest-Erkrankung von Bedeutung sein“, sagt Fischer.
Technische Fortschritte helfen der Forschung
Es sind vor allem technische Fortschritte, die den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei ihrer Arbeit helfen. Einer davon ist eine deutliche Steigerung der Auflösung von kryo-elektronenmikroskopischen Aufnahmen. Bei dieser Technik werden Proben auf Temperaturen von bis zu minus 180 Grad Celsius „schockgefroren“. Sie erst macht es möglich, biologische Moleküle und Komplexe in Lösung zu untersuchen und deren dreidimensionale Struktur in der Größenordnung von Atomen zu rekonstruieren.
Ein entsprechendes Elektronenmikroskop steht seit vielen Jahren an der JMU. „Viele medizinisch relevante Zielmoleküle rücken damit in den Fokus des Wirkstoffdesigns. Wir werden diese Technik zusammen mit etablierten Verfahren nutzen, um solche Moleküle zu identifizieren, die auf spezielle Strukturen der Pockenviren abzielen, und deren Vermehrung stören“, erklärt Clemens Grimm, der die Strukturbiologie-Analysen am Lehrstuhl durchführt.
Tatsächlich sind die beteiligten Wissenschaftler optimistisch, dass es ihnen gelingen wird, in den kommenden Jahren eine Reihe chemischer Verbindungen zu definieren, die als eine Art Leitstruktur für die anschließende Entwicklung eines Arzneimittels dienen können.
Pockenviren sind aus mehreren Gründen eine Bedrohung
Dass das Forschungsteam zeitgleich mit dem Ausbruch der Affenpocken die Arbeit aufnimmt, ist natürlich ein Zufall – der Antrag wurde schließlich schon vor Monaten geschrieben. Kein Zufall ist es allerdings, dass sich die Wissenschaftler auf Pockenviren konzentrieren. Diese stellen nämlich aus verschiedenen Gründen eine potenzielle Bedrohung für die Menschheit dar. Zum einen sind aktuell nur sehr wenig antivirale Medikamente verfügbar – und diese zeigen oft eine sehr begrenzte Wirksamkeit.
Zum anderen gibt es zwar einen wirksamen Schutz vor einer Infektion: die Pockenschutzimpfung. Nachdem jedoch die Weltgesundheitsorganisation WHO die Pocken 1980 für ausgerottet erklärt hat, wurden die entsprechenden Impfprogramme in den folgenden Jahren eingestellt. Seitdem schwindet zusehends die Herdenimmunität gegen Pockenviren beim Menschen. Kein Wunder, dass eine kürzlich durchgeführte Studie das Affenpockenvirus zu einer der bedrohlichsten Virenarten zählt – wegen der Gefahr, dass es Menschen infiziert, durch Mutationen an seinen neuen Wirt anpasst und sich dann exponentiell verbreitet.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Utz Fischer, Lehrstuhl für Biochemie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg,
T: +49 931 31-84029, utz.fischer@biozentrum.uni-wuerzburg.de
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