Der letzte Schrei? Start des ersten umfassenden Schutzprogramms zur Rettung der letzten Schreiadler Deutschlands

E. Hoyer

Die drastische Gefährdungssituation in Deutschland ist in erster Linie auf den schlechten Zustand der Brutgebiete, bedingt durch intensive Forst- und Landwirtschaft, zurückzuführen. Eine weitere Bedrohung geht jetzt erneut vom Mensch aus: die unkontrollierte Bejagung auf den Zugrouten. Erschwerend kommt hinzu, dass das beim Schreiadler genetisch bedingte Phänomen des „Kainismus“ die heute dezimierte Population maßgeblich schwächt: Hierbei tötet der erstgeborene Nestling den zweitgeborenen. Das fünfjährige Schutzprogramm der Deutschen Wildtier Stiftung umfasst deshalb einen langfristigen Ansatz zur Verbesserung der Bruthabitate, eine Sofortmaßnahme zur Stabilisierung der verbliebenen hiesigen Population sowie die Sicherung auf den Zugwegen. Die Umsetzung erfolgt in Kooperation mit führenden Schreiadler-Experten.

Lebensraum fehlt

Der Schreiadler hat besonders hohe Ansprüche an seinen Lebensraum und reagiert sehr empfindlich auf menschliche Störungen. Für die erfolgreiche Brut und Aufzucht seiner Jungen benötigt er große, ungestörte und unzerschnittene Wälder. Als Jagdrevier bevorzugt er extensiv genutzte Feuchtwiesen, die an das Bruthabitat anschließen. Diese Bedingungen sind heute jedoch durch Entwässerungen und intensive Forst- und Landwirtschaft kaum noch gegeben. Hierzulande hat der „Pommernadler“ einen katastrophalen Lebensraumverlust von rund 90 % zu beklagen. Seine Brutgebiete beschränken sich auf Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch hier war in den letzten Jahren die Jungenaufzucht häufig zum Scheitern verurteilt. Da die Altvögel auf der Suche nach Nahrung immer weitere Strecken zurücklegen müssen, wird der schutzlose Nachwuchs zu leichter Beute für Marder und andere Fressfeinde.

Bereits seit dem Jahr 2003 setzt sich die Deutsche Wildtier Stiftung im Rahmen der „Renaturierung des Unteren Recknitztals“ erfolgreich für den Schreiadler ein. Nun sollen ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern zusammen mit Projektpartnern im Naturpark Feldberger Seenlandschaft Feuchtwiesen wieder in natürlichen Zustand versetzt bzw. die Wasserstände angehoben, entsprechende Flächen gepachtet oder im Einzelfall gekauft werden.

Kain und Abel

Schreiadler legen in der Regel zwei Eier. Im Abstand von einigen Tagen schlüpfen zwei Jungvögel und zumeist tötet der erstgeborene „Kain“ den jüngeren „Abel“. Da das Phänomen des „Kainismus“ genetisch bedingt stets auftritt, sind die Deutsche Wildtier Stiftung und ihre Partner im Rahmen einer allerletzten Sofortmaßnahme gefordert, das Überleben möglichst vieler Zweitgeborenen zu sichern. „Abel“ soll dazu direkt nach dem Schlüpfen dem Horst entnommen und in der Naturschutzstation Woblitz (Brandenburg) aufgezogen werden. Nach Erlöschen des „Aggressionstriebs“ von „Kain“ wird der Zweitgeborene wieder in die Obhut der Altvögel gegeben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bereits drei bis vier zusätzliche Jungtiere pro Jahr die Population in Brandenburg stabilisieren würden.

Abschuss auf den Zugwegen

Mit etwa 10.000 km ins südliche Afrika legt der Schreiadler auf seinem Zug die weiteste Strecke aller heimischen Greifvögel zurück. Intensiver illegaler Abschuss, wie in Syrien und dem Libanon, ist dabei eine der größten Gefahren. Die Deutsche Wildtier Stiftung drängt darauf, den internationalen Schutz entlang der Zugrouten zu verbessern und den Schreiadler in den Anhang I der Bonner Konventionen, dem Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten, aufzunehmen. Erst dieser Schritt würde das rechtliche Fundament liefern, um die Wilderei für alle Länder entlang der Zugroute zu untersagen.

Jeder Cent zählt

Derzeit wird das Schutzprogramm aus Mitteln der Deutschen Wildtier Stiftung aber auch über private Spenden und Patenschaften finanziert. Um zusätzliche Schritte zum Schutz der letzten Schreiadler realisieren zu können, ist die Stiftung auf finanzielle Hilfe von Sponsoren und weiteren Spendern angewiesen. Neben der Veröffentlichung eines Praxisratgebers für den nachhaltigen Schutz der Habitate, plant die Stiftung ausgewählte Jungtiere mit Sendern zu versehen, um sie mit GPS-Technologie zu überwachen. Anhand der so generierten Daten sollen weitere Erkenntnisse für den Schutz der Tiere gewonnen werden.

Die gemeinnützige Deutsche Wildtier Stiftung mit Sitz in Hamburg wurde 1992 von Haymo G. Rethwisch gegründet. Ihr Ziel ist es, einheimische Wildtiere in ihren natürlichen Lebensräumen zu fördern und erlebbar zu machen. Schirmherr der Deutschen Wildtier Stiftung, die zu den bedeutendsten Stiftungen für Natur und Wildtierschutz in Europa zählt, ist Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Roman Herzog.

Pressekontakt
Deutsche Wildtier Stiftung: Sven Holst, Geschäftsführer, Billbrookdeich 210, 22113 Hamburg , Telefon: 040 / 73 33 93 31, Fax: 040 / 7 33 02 78, S.Holst@DeWiSt.de, http://www.DeutscheWildtierStiftung.de

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