Geistesblitze erfordern Ablenkung

Wer schon tagelang an einem Problem grübelt, sollte sich besser ablenken: Nicht durch angestrengtes Nachdenken, sondern durch Zerstreuung werden Kreativität und Aha-Erlebnisse möglich. Das berichten Forscher der University of California in Santa Barbara in der Zeitschrift „Psychological Science“.

Vermeintlich zeitverschwendende Ablenkung soll kreatives Denken ähnlich gut fördern wie der REM-Schlaf – und nicht zuletzt Geistesgrößen wie Archimedes, Newton oder Einstein zu ihren bahnbrechenden Erkenntnissen und „Heureka“-Ausrufen verholfen haben.

Verwendung eines Zahnstochers

Getestet wurden 145 Studenten, denen die Forscher Wörter von Alltagsgegenständen – Zahnstocher, Kleiderbügel oder Ziegelstein etwa – vorlegten. Ihre Aufgabe lautete, in zwei Minuten möglichst viele unübliche Verwendungsformen dafür zu notieren. Dann gab es für manche Studenten zwölf Minuten Pause, anderen stellte man eine die volle Aufmerksamkeit beanspruchende Aufgabe. Einer weiteren Gruppe beschäftigte man mit einer Übung, die sie stark unterforderte – es ging um die Beurteilung, ob Zahlen gerade oder ungerade sind. Bei dieser Übung weiß man, dass sie Tagträume auslöst. Die vierte Gruppe machte keine Pause.

Anschließend wurde in einem zweiten Durchgang die Anfangsaufgabe wiederholt, und zwar mit den ursprünglichen als auch mit neuen Objekten. Einzig nach den Tagträumen brachte dieser zweite Anlauf Verbesserungen, und zwar gleich um 41 Prozent. Das traf allerdings nur auf die Aufgaben zu, bei denen Objekte zum zweiten Mal gezeigt wurden, nicht bei völlig neuen Gegenständen. „Seine Gedanken schweifen lassen, hilft also nur bei Problemen, mit denen man sich schon zuvor beschäftigt hat. Einen grundsätzlichen Anstieg an kreativer Problemlösungskompetenz bringt es nicht“, sagt Studienleiter Benjamin Baird.

Gedächtnis wichtig

„In der modernen Neuropsychologie heißt dieser Effekt 'Random episodic silent thinking' (Rest)“, berichtet der Heidelberger Psychologe Rainer Holm-Hadulla im pressetext-Interview. Das Gehirn träumt dabei still vor sich hin und erlaubt den einzelnen Arealen, im Austausch neue Assoziationen herzustellen statt sie zur Bearbeitung konkreter Aufgaben zu drängen. Damit dieses Kombinieren und intuitive Denken anspringt, muss man die Konzentration abstellen. „Vorbedingung ist aber auch, dass die Inhalte bereits im Gedächtnis abgespeichert sind. Es reicht nicht, sie bloß bei Bedarf im Internet zu finden“, so der Kreativitätsforscher.

Ausflug in die Unmöglichkeit

Für die konkrete Umsetzung rät der Psychologe Harald Braem http://haraldbraem.de , das lineare Denken abzustellen und mit Unmöglichem zu spielen: „Das ist etwa der Gedanke von 1 + 1 = 3, eine imaginäre Weltraumreise, die Frage, wie ein neues Auto wohl tanzen würde, wenn es ein Tier wäre, oder die Aufgabe, beim Zeichnen die Vorlage auf den Kopf zu stellen und statt Figuren deren Zwischenräume abzuzeichnen.“ Musik, jedoch auch Farben sind hilfreich: „Besonders die Blaupalette lässt uns wegfliehen und weckt Sehnsucht. Nicht umsonst zog es Goethe oft zum Meer und viele merken nach einem Urlaub mit Fliegen, Schwimmen oder Seefahrt Veränderung.“

Wenngleich das Marketing mit diesen Methoden ständig spielt, belastet der heutige Zeitgeist meist nur die linke, „digitale“ Gehirnhälfte, die für Logik und Sprache zuständig ist. Die rechte Hemisphäre, in der etwa Gefühle, Intuition und Kreativität verortet sind, wird hingegen meist vernachlässigt und verkümmert, worin Braem einen Mitauslöser für aktuelle Probleme wie Depressionen und Burnout erkennt.

„Um Kreativität zu wecken, braucht es Ausgleich zwischen links und rechts, den durch ein derartiges Gedankenwandern gefördert wird. Kreative haben den Corpus callosum, das Bindeglied der Gehirnhälften, messbar stärker aktiviert als andere“, berichtet Braem gegenüber pressetext.

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Johannes Pernsteiner pressetext.redaktion

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