Zwei Erlanger Wissenschaftlerteams forschen in der Schwerelosigkeit

Prof. Dr. Thorsten Pöschel und sein Team untersuchen, wie Schwingungen gemildert werden können, um neue Stoßdämpfer für Satelliten, Flugzeugturbinen oder Antennen zu entwickeln, die einfach aufgebaut, wartungsarm, robust und preiswert sind und in einem breiten Temperaturbereich eingesetzt werden können.

Die Sportwissenschaftler um Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann wollen mehr darüber herausfinden, wie das Bewegungssystem des Menschen unter verschiedenen Schwerkraftbedingungen funktioniert. Die Forscher hoffen, auf Basis der neuen Erkenntnisse, wirksame Trainingsprogramme für Astronauten und Menschen mit Bewegungsstörungen zu entwickeln.

Das größte fliegende Labor der Welt
Genau 22 Sekunden Schwerelosigkeit herrschen im Inneren des Airbus A300 Zero-G, dem größten fliegenden Labor der Welt, wenn es in den Sinkflug geht. In diesen 22 Sekunden können die Wissenschaftler im Flugzeug Experimente bei annähernder Schwerelosigkeit, sogenannter Mikrogravitation, durchführen. Der Airbus startet von Bordeaux in Frankreich und fliegt über dem Atlantik, bei schlechtem Wetter auch über Korsika. Für die Experimente stehen insgesamt vier Flugtage mit etwa 40 Minuten Schwerelosigkeit zur Verfügung. Alles muss also klappen wie am Schnürchen.
Neuartige Stoßdämpfer
Das Experiment von Prof. Dr. Thorsten Pöschel, Leiter des Lehrstuhls für Multiscale Simulation of Particulate Systems, betrifft die Mechanik granularer Stoffe, also großer Mengen winziger Teilchen wie z.B. Sand, Geröll oder auch Müsli. Das Erlanger Team untersucht Glaskügelchen in zylindrischen oder quaderförmigen Körpern. Die Kügelchen schlucken bei Zusammenstößen die Energie von Bewegungen und Vibrationen. Wegen dieser Eigenschaften werden Granulate auch häufig als Verpackungsmittel genutzt oder als Sandsäcke beim Boxtraining verwendet. Für künftige Anwendungen ist denkbar, dass direkt mit Granulat gefüllte Hohlräume bei der Konstruktion von Turbinenflügeln oder Antennen eingebaut werden, die dann Vibrationen und Schwingungen dämpfen und somit zur Funktionalität und Sicherheit der Bauteile entscheidend beitragen.

Bei den Experimenten während der Parabelflüge wollen die Wissenschaftler die Bahnen der Granulatteilchen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera beobachten und untersuchen, wie z.B. Behälterform, Kugelgröße, Füllhöhe, Dicke der Federstahlplatte sich auf die Dämpfung auswirken. Dafür haben sie eine 1,25 mal 2,50 Meter große Bodenplatte mit 16 Schwingern bestückt, die jeweils aus einem Zylinder mit Glaskugeln einer Stahlblattfeder sowie mehreren Detektoren bestehen. Diese Platte wird dann im Airbus auf dem Boden festgeschraubt. Sobald die Phase der Schwerelosigkeit beginnt, wird ein Elektromagnet, der die Federn auf Spannung gehalten hat ausgeschaltet. Durch diesen Impuls beginnt die Konstruktion zu schwingen. Nach 22 Sekunden Schwerelosigkeit bleiben den Forschern dann zwei bis drei Minuten, um ihren Versuchsaufbau neu zu bestücken, bevor dann die nächste der 31 Parabeln pro Flug beginnt.

Die in der Schwerelosigkeit aufgezeichneten Daten liefern erstmals präzise Versuchsergebnisse, für die bisher nur Berechnungen aus Computersimulationen zur Verfügung standen. Auf der Erde sind solche Versuche nicht möglich, weil die Schwerkraft viele der sehr komplexen Effekte überlagert.

Bewegungskoordination in der Schwerelosigkeit
Das zweite Forschungsteam, das am Parabelflug teilnimmt, leitet der Sportbiologe und Bewegungsmediziner Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann. Er und sein Team wollen mehr darüber herausfinden, wie das Bewegungssystem des Menschen unter verschiedenen Schwerkraftbedingungen funktioniert. Die Forscher hoffen auf Basis der neuen Erkenntnisse, wirksame Trainingsprogramme für Astronauten und Menschen mit Bewegungsstörungen zu entwickeln.

Die Anziehungskraft der Erde stellt einen ständigen Trainingsreiz für das Herz-Kreislaufsystem sowie das Muskel- und Knochensystem des Menschen dar. Ohne diesen Trainingsreiz sinkt die Leistungsfähigkeit dieser Systeme innerhalb kürzester Zeit rapide ab. Um diesen negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper entgegenzuwirken, führen Astronauten täglich ein mehrstündiges Ausdauer- und Krafttraining durch – zum Beispiel auf dem Fahrradergometer.

Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen in der Schwerelosigkeit sich auf dem Ergometer anders bewegen als auf der Erde. Bei den Astronauten kann es zu einer veränderten Koordination und in der Folge zu Bewegungsstörungen kommen. Wie die veränderten Bewegungen genau aussehen und welchen Einfluss dabei die Schwerelosigkeit auf das Gehirn und die Beinmuskulatur nimmt, untersuchen die Erlanger Wissenschaftler beim Parabelflug. Während der Flüge führen die Teilnehmer des Experiments Tretbewegungen auf einem speziellen Fahrrad durch, das die Kraft des linken und rechten Beines getrennt voneinander auf den Radantrieb überträgt. In dem Parabelflugexperiment werden erstmals drei hochmodernen Untersuchungsmethoden verzahnt. Mit Hilfe von Kameras beobachten die Wissenschaftler die Beinbewegung, zeichnen die Gehirnaktivität per Hirnstrommessungen auf und erfassen die elektrische Aktivität in den Beinmuskeln.

Weitere Informationen für die Medien:
Ute Missel
Pressestelle
Tel.: 09131/85-24036
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