XENON1T: Das empfindlichste „Auge“ für Dunkle Materie

Wissenschaftler beim Aufbau der Zeit-Projektionskammer. Foto: Enrico Sacchetti (XENON-Kollaboration)

„Das weltbeste Resultat zu Dunkler Materie – und wir stehen erst am Anfang!“ So freuen sich Wissenschaftler der XENON-Kollaboration über die ersten Ergebnisse ihres neuen Instruments, die sie heute (18. Mai 2017) auf der einer Konferenz vorstellten. Mit nur 30 Tagen Messzeit erweist sich XENON1T als der weltweit empfindlichste Detektor für Dunkle Materie.

Verschiedene astronomische Beobachtungen legen die Anwesenheit von Dunkler Materie als wesentlichen Bestandteil des Universums nahe. Sie müsste rund fünfmal häufiger sein als normale, sichtbare Materie. Der direkte Nachweis Dunkler Materie und die Erforschung ihrer Eigenschaften ist deshalb eines der wichtigsten Ziele der modernen Teilchenphysik.

Dazu suchen Forscher mit extrem empfindlichen Detektoren nach Wechselwirkungen der Dunkle-Materie-Teilchen mit normalen Teilchen. Diese extrem schwachen Wechselwirkungen haben sich aber bisher der Entdeckung entzogen, was die Wissenschaftler dazu zwingt, immer noch empfindlichere Detektoren zu bauen.

Die XENON-Kollaboration, die mit dem XENON100-Experiment jahrelang führend war, hat sich nun mit ihrem neuen Instrument XENON1T an der Spitze zurückgemeldet. Die Daten der ersten 30 Messtage zeigen, dass dieser Detektor den bisherigen Rekord für die geringste Radioaktivität deutlich verbessert. Diese ist um viele Größenordnungen niedriger als in der normalen irdischen Umgebung.

Radioaktivität erzeugt Störsignale, vergleichbar mit dem Licht der Städte, das den Blick auf den Sternenhimmel beeinträchtigt. XENON1T verwendet etwa 3200 kg des flüssigen Edelgases Xenon als Detektormaterial und ist damit der größte jemals gebaute Detektor seiner Art. Aufgrund der Kombination von Größe und Reinheit hat XENON1T in den kommenden Jahren sehr gute Chancen, Dunkle-Materie-Teilchen zu finden.

Astronomen bauen ihre großen Teleskope auf abgelegene hohe Berge, wo die Nächte dunkel sind. Um das radioaktive „Störlicht“ zu entfernen, muss man anders vorgehen: Gut geschützt vor kosmischer Strahlung ist das XENON1T-Instrument seit Herbst 2016 im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor im Messbetrieb. Was man davon in der unterirdischen Experimentierhalle sehen kann, sind ein riesiger stählerner Wassertank und ein dreistöckiges durchsichtiges Gebäude daneben.

Darin ist die für den Betrieb des Experiments notwendige Technik untergebracht. Der Wassertank ist mit hochreinem Wasser gefüllt, das den Detektor in seiner Mitte vor Strahlung aus der Umgebung und restlicher kosmischer Strahlung schützt. Der eigentliche Detektor, eine sogenannte Flüssig-Xenon-Zeit-Projektionskammer (time projection chamber: TPC), befindet sich in einem Isoliergefäß, das dafür sorgt, dass das flüssige Xenon –95°C kalt bleibt – ohne dass das Wasser gefriert.

Aber selbst perfektes Abschirmen gegen äußere Einflüsse ist nicht ausreichend, weil alle Materialien auf der Erde geringe Spuren von natürlicher Radioaktivität enthalten. Um möglichst wenig Radioaktivität in den Detektor einzubringen, war es daher erforderlich, alle verwendeten Materialien sorgfältig auszuwählen, zu verarbeiten und zu reinigen. Nur so gelang es, das Zentrum von XENON1T zu einem der reinsten Orte des Universums zu machen. Dies ist Voraussetzung, die extrem seltenen Signale von Dunkler Materie zu finden.

Wenn ein Teilchen in flüssigem Xenon wechselwirkt, entstehen winzige Lichtblitze. Die XENON-Wissenschaftler registrieren diese und bestimmen daraus den Ort der Wechselwirkung und die Energie des Teilchens – und ob es Dunkle Materie sein könnte oder nicht. Infrage dafür kommen nur Ereignisse im Zentrum des Detektors, das etwa 1 Tonne Xenon umfasst. Das äußere Xenon bildet eine zusätzliche Abschirmschicht gegen restliche Spuren von Radioaktivität im Material.

Schon mit den in den ersten 30 Tagen gesammelten Daten übertrifft die Empfindlichkeit von XENON1T alles bislang dagewesene. XENON1T ist damit in bisher unerforschtes Terrain eingedrungen. Es hat dort aber noch keine Dunkle Materie gefunden, hat allerdings auch gerade erst angefangen zu messen. XENON1T ist in einer ausgezeichneten Position im Rennen um die Entdeckung der Dunklen Materie.

In der internationalen XENON-Kollaboration arbeiten Wissenschaftler aus den USA, Deutschland, Italien, der Schweiz, Portugal, Frankreich, den Niederlanden, Israel, Schweden und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen. Aus Deutschland sind das Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg, die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und die Westfälische Wilhelms-Universität Münster beteiligt.

Publikation:
First Dark Matter Search Results from the XENON1T Experiment, XENON Collaboration, arXiv:1705.xxxx

Kontakt:
Prof. Dr. Manfred Lindner
MPI für Kernphysik
E-Mail: manfred.lindner (at) mpi-hd.mpg.de
Tel.: 06221 516800

Prof. Dr. Uwe Oberlack
Universität Mainz
E-Mail: oberlack (at) uni-mainz.de
Tel.: 06131 3925167

Prof. Dr. Marc Schumann
Universität Freiburg
E-Mail: marc.schumann (at) physik.uni-freiburg.de
Tel.: 0761 20396894

Prof. Dr. Christian Weinheimer
Universität Münster
E-Mail: weinheim (at) uni-muenster.de
Tel.: 0251 8334971

http://xenon1t.org/ – Webseiten der XENON-Kollaboration

Media Contact

Dr. Gertrud Hönes Max-Planck-Institut für Kernphysik

Weitere Informationen:

http://www.mpi-hd.mpg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Wie Zellen die Kurve kriegen

Die Krümmung einer Oberfläche bestimmt das Bewegungsverhalten von Zellen. Sie bewegen sich bevorzugt entlang von Tälern oder Rillen, während sie Erhebungen meiden. Mit diesen Erkenntnissen unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für…

Herzinsuffizienz: Zwei Jahre mit Herzpflaster

Patient berichtet über Erfahrungen. Weltweit einzigartig: Patient*innen mit Herzschwäche wurde im Rahmen einer Studie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) im Labor gezüchtetes Herzgewebe implantiert. Das sogenannte…

Forschende charakterisieren Brustkrebs-Zelllinien

Ergebnisse ermöglichen die Erforschung besserer Brustkrebs-Therapiemöglichkeiten. Zelllinien sind ein wichtiges in vitro Model in der Brustkrebsforschung. Ein Team um Biochemikerin Dr. Sonja Eberth und Bioinformatikerin Dr. Claudia Pommerenke vom Leibniz-Institut…

Partner & Förderer