Gen-Defekt macht Mäuse alkoholkrank

Neue Möglichkeiten für den Einsatz von Medikamenten in der Suchttherapie

Klinische und epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass stressempfindliche Menschen, wenn sie erhöhtem Stress ausgesetzt sind, suchtkrank werden können. Mit ihrer in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science (2. Mai 2002) publizierten Arbeit bestätigen Wissenschaftler um Prof. Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München nicht nur diese Untersuchungsergebnisse, sondern zeigen auch neue Möglichkeiten auf, wie durch Medikamente, die entweder auf das Stresshormon- oder das Glutamat-System gerichtet sind, der Entwicklung von stress-induziertem Alkoholmissbrauch vorgebeugt werden kann. Für Menschen mit genetisch verursachter Veränderung der Stress-Regulation könnte dies eine therapeutische Hilfe werden.

Die Entwicklung von Alkoholismus lässt sich sowohl auf genetische Faktoren als auch auf Umweltfaktoren zurückführen. Ein besonders wichtiger Umweltfaktor ist der Stress – und zwar nicht nur in Bezug auf Alkoholmissbrauch, sondern auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen, wie z.B. Angststörungen, Depression und posttraumatischen Stress-Erkrankungen. Für die Entwicklung und die Ausprägung der Alkoholkrankheit spielt die genetische Disposition der Betroffenen eine wichtige Rolle. Dieser Zusammenhang trifft interessanterweise auch für Labormäuse zu.

Mit Hilfe molekularbiologischer Techniken ist es Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Psychiatrie gelungen, ein Mausmodell zu erzeugen, bei dem die zentrale Schaltstelle für die Stress-Reaktion gestört ist. Die Tiere reagieren daher unter Stressbedingungen mit verstärktem Alkoholkonsum. Wird der Organismus einer Stress-Situation ausgeliefert (und das gilt für Maus und Mensch gleichermaßen), setzt er vermehrt ein Eiweißmolekül frei, das Corticotropin freisetzende Hormon (abgekürzt: CRH). Dieses Molekül steuert nicht nur die hormonelle Stress-Antwort, sondern koordiniert ebenfalls eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die geeignet sind, die Stress-Situation zu bewältigen. Im Gehirn bindet CRH in verschiedenen Regionen, die für emotionales Verhalten, wie z.B. Angst, relevant sind. Zu den Rezeptoren, die das Hormonsignal aufnehmen, gehört der Corticotropin-Releasing Hormone Rezeptor Typ 1. Wird dieser Rezeptor in einer Knockout-Maus ausgeschaltet, ist die zentrale Stress-Reaktion gestört. Die von den Münchner Wissenschaftlern entwickelte Knockout Maus besitzt einen Defekt in genau jenem Gen, das die Bauanleitung für den CRH Rezeptor Typ 1 trägt.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie (Inge Sillaber, Gerhard Rammes, Stephan Zimmermann, Beatrice Mahal, Walter Zieglgänsberger, Wolfgang Wurst, Florian Holsboer und Rainer Spanagel) haben ihren Knockout-Mäusen Alkohol zu trinken angeboten. In ihren Untersuchungen tranken die Mäuse, bei denen die zentrale Regulation der Stress-Antwort gentechnisch gestört war, zunächst die gleiche Menge Alkohol wie die genetisch intakten Tiere aus Kontrollgruppe. Wurden die Knockout-Mäuse jedoch wiederholt Stress ausgesetzt, so reagierten sie im Gegensatz zur Kontrollgruppe über fünf Monate hinweg mit einer kontinuierlich verstärkten Aufnahme von Alkohol. Offensichtlich ist ein intaktes zentrales Stress-System erforderlich, um das Risiko zum Alkoholismus, das nach längerer Stress-Erfahrung entsteht, erfolgreich zu reduzieren bzw. auszuschließen.

Parallele Untersuchungen ergaben, dass ein weiterer Rezeptor im Gehirn, an den vornehmlich Glutamat bindet, der sogenannte NR2B-Rezeptor, in bestimmten Hirnregionen der von den Max-Planck-Wissenschaftlern entwickelten Knockout-Mäuse erhöht ist. Dieser Rezeptor reagiert auf Alkohol. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass die Erhöhung des Glutamatrezeptors in den Knockout-Mäusen zur Stress-induzierten Steigerung des Alkoholkonsums in diesen Tieren beiträgt.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Inge Sillaber
Tel:+49 – 89 – 30622 – 641
Email: sillaber@mpipsykl.mpg.de

Dr. Sieglinde Modell,
Tel.: 089 / 30622-637
Fax: +49 – 89 – 30622 – 493
Email: modell@mpipsykl.mpg.de

Max-Planck-Institut für Psychiatrie
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