Aushungern des Tumors hält Krebs in Schach

Wenn sie über den Blutkreislauf nicht mehr entsprechend versorgt wird, geht sie unter – so beispielsweise Herzmuskelzellen bei einem Infarkt oder Gehirnzellen beim Schlaganfall. Warum dieses Prinzip nicht in der Krebsmedizin therapeutisch nutzen und Tumorzellen gleichsam den Hahn abdrehen? Anti-Angiogenese heißt dieser neue Ansatz der Krebstherapie, dessen Erforschung und klinische Umsetzung einen der Schwerpunkte der Medizinischen Klinik A des Universitätsklinikums Münster (UKM) darstellen.

Damit ein Tumor wachsen kann, muss er über das Blut mit Nähstoffen und Sauerstoff versorgt werden, erklärt Prof. Dr. Rolf Mesters, der sich zusammen mit Klinikdirektor Prof. Dr. Wolfgang Berdel seit fast zehn Jahren wissenschaftlich intensiv mit dieser Thematik beschäftigt. Nur ganz am Anfang seines Wachstums kann sich die bösartige Geschwulst aus dem umliegenden Gewebe beziehungsweise über den normalen Blutkreislauf versorgen. Spätestens wenn der Tumor eine Größe von einem bis drei Kubikmillimeter erreicht hat, also noch winzig klein ist, benötigt er laut Mesters zusätzliche eigene Blutgefäße, die ihm das wichtige Lebenselixier liefern und ihn dadurch weiter wachsen und irgendwann Metastasen bilden lassen.

Wie der Tumor es schafft, dass sich im Zuge seines Wachstums nach und nach ein immer größeres Geflecht an neuen Blutgefäßen bildet, haben Wissenschaftler vom Grundsatz her bereits vor rund 20 Jahren herausgefunden. Und zwar setzen die Tumorzellen bestimmte Botenstoffe beziehungsweise Wachstumsfaktoren frei und schütten diese in die Blutbahn aus. Dort docken sie an bestimmten Rezeptoren auf den Endothelzellen an, die die innere Auskleidung der Gefäßwand darstellen, und geben ihnen damit das Signal zum Aussprossen neuer Gefäße. Die genaueren Mechanismen, die bei der Angiogenese, also bei der Bildung von Blutgefäßen eine Rolle spielen, werden derzeit noch näher untersucht. Die Arbeitsgruppe um Prof. Mesters konzentriert sich dabei auch auf die Bedeutung der Angiogenese bei Leukämien. Denn obwohl es sich beim „Blutkrebs“ nicht um einen so genannten

soliden (festen) Tumor handelt, sondern sich die Leukämiezellen vielmehr diffus im Knochenmark vermehren, steht und fällt sein Fortschreiten gleichwohl ebenfalls mit der Bildung zusätzlicher Blutgefäße, die ihn mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen.

Während die Strategien von Wissenschaftlern zur klinischen Umsetzung des Prinzips der Anti-Angiogense weltweit bislang weitgehend auf einer Blockierung des Wachstumsfaktors und damit der Gefäßbildung beruhen, verfolgen die Experten m UKM einen anderen Weg, um einen Tumor von der Blutversorgung abzukappen. Und zwar arbeitet man hier mit einem bestimmten Eiweiß, das gezielt in den Blutgefäßen, worüber die bösartige Geschwulst versorgt wird, die Gerinnung aktiviert. Auf diese Weise wird erreicht, dass sich die Gefäße verschließen, also kein Blut und damit kein Sauerstoff und keine Nährstoffe mehr zu den Krebszellen gelangen und diese dann absterben. Das Ziel dieser Entwicklung ist also ähnlich, nur geht es bei den bisherigen Strategien um die Blockierung einer Gefäßneubildung und bei dem Ansatz der Wissenschaftler in Münster um ein Unterbinden des Blutstroms in bereits vorhandenen Gefäßen. Nach bislang recht erfolgversprechenden Ergebnissen experimenteller Arbeiten könnte sich Mesters vorstellen, das Präparat in einiger Zeit erstmals bei tumorkranken Menschen einzusetzen. Voraussetzung für den Erfolg jeder Form von Anti-Angiogenese sei allerdings, dass sie in Kombination mit einer Chemotherapie durchgeführt werde.

Drei Medikamente zur Anti-Angiogenese-Behandlung sind in den USA bereits zugelassen, eines davon unter dem Produktnamen Avastin seit 2005 auch in Deutschland. Die Indikation für die in Kombination mit einer Chemotherapie durchgeführte Anti-Angiogenese-Behandlung ist bei diesem Medikament allerdings noch beschränkt auf bereits metastasierten Dickdarmkrebs. Bei nahezu allen Patienten mit diesem Krankheitsbild wird das Medikament am UKM heute bereits standardmäßig eingesetzt. Ausgenommen sind lediglich Patienten mit erhöhtem Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko, da sich dieses unter der Therapie ohnehin schon verdoppelt. Die Krebskranken, bei denen das Präparat zum Einsatz kommt, profitieren in der Tat deutlich gegenüber einer alleinigen Chemotherapie. Wenngleich die durchschnittliche Verlängerung der Überlebenszeit um ein halbes Jahr aus der Perspektive eines Gesunden wenig erscheinen mag, bedeutet dies für Betroffene in der Regel doch sechs Monate zusätzlich geschenktes Leben. In dieser Zeit bildet sich der Tumor tatsächlich zurück beziehungsweise wird kleiner.

Media Contact

Jutta Reising idw

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