Wenn die innere Uhr aus dem Rhythmus kommt – Zirkadianes Timing komplexer als angenommen

Praktisch alle Lebensfunktionen in allen Organismen werden von der inneren Uhr gesteuert. Uhrengene erzeugen diesen inneren Tagesrhythmus, in dem molekulare Rückkopplungsschleifen eine wichtige Rolle spielen. Dabei wird das Uhrengen über einen RNA-Zwischenschritt in sein Produkt, ein Protein, übersetzt, das dann wiederum negativ auf die Expression seines eigenen Uhrengens wirkt. Ergebnisse des Teams um Prof. Dr. Till Roenneberg und Dr. Martha Merrow vom Zentrum für Chronobiologie der LMU zeigen jetzt aber, dass dieses einfache Modell als Erklärung nicht ausreicht, wie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology berichtet. „Wir haben molekulare Prozesse der inneren Uhr unter verschiedenen Tageslängen in einem Pilz untersucht“, so Roenneberg. „Und unter diesen Bedingungen werden der RNA- und Protein-Rhythmus entkoppelt. Wir müssen also nach weiteren zellulär-molekularen Mechanismen der inneren Tagesuhr suchen.“

Obwohl bereits einiges über die Rückkopplungsschleifen zwischen den Uhrengenen und ihren Protein-Produkten bekannt ist, fehlen genaue Informationen darüber, wie jede einzelne Zelle auf molekularer Ebene einen circa-24-Stunden-Rhythmus erzeugt. Die Organismen passen sich an, indem sie die sich je nach Jahreszeit ändernde Tageslänge messen. Das ist nötig, weil bestimmte Lebensprozesse – etwa die Fortpflanzung – bei vielen Tieren und Pflanzen nur zu bestimmten Jahreszeiten stattfinden.

„Zeitgeber“ sind äußere Faktoren, die diese Synchronisierung des inneren Uhrwerks mit dem Tag-Nacht-Wechsel auslösen. Wichtigster Faktor ist dabei das Licht. Die Wissenschaftler untersuchten erstmals die molekularen Prozesse der inneren Uhr unter verschiedenen Tageslängen in dem Schimmelpilz Neurospora crassa. „Das Uhrengen frequency, kurz frq , und sein Genprodukt, das Protein FRQ, bilden in Neurospora crassa die zentrale Rückkopplungsschleife“, berichtet Roenneberg.

Bei konstantem Lichteinfall lassen sich hohe Konzentrationen an frq-RNA, sowie des FRQ-Proteins finden. In Dunkelheit aber nehmen die RNA-Mengen ab und steigen erst wieder nach acht bis zwölf Stunden an. Nach etwa vier Stunden nehmen auch die Proteinmengen zu. In verschiedenen Experimenten mit unterschiedlichen Hell-Dunkel-Zyklen stieg mit Beginn des Lichteinfalls die Konzentration der frq-RNA etwa um das Zehnfache an, fiel dann aber auf etwa die Hälfte des Spitzenwertes ab und blieb dort, solange Licht eingestrahlt wurde. Nach dem Übergang zur Dunkelheit fiel die Menge an frq-RNA dramatisch ab und stieg erst nach etwa acht Stunden wieder an. Auf RNA-Ebene scheint die frq-Expression von äußerem Lichteinfall gesteuert zu sein.

Nach dem alten Rückkopplungsmodell müsste die Proteinproduktion der RNA-Produktion folgen und dann die Expression des frq-Uhrengens unterbinden. Während aber die RNA-Menge dem Lichteinfall folgte, spiegelte die FRQ-Proteinkonzentration weder das RNA-Level noch direkt den Lichteinfall wider. Der RNA- und Protein-Rhythmus waren unter diesen synchronisierten Bedingungen, die in etwa den jahreszeitlichen Veränderungen entsprechen, entkoppelt. An Wintertagen steigen beide gleichzeitig mit Sonnenaufgang an, während das Protein an Sommertagen bis zu vier Stunden später als die RNA ansteigt. „Die Regulatoren, die diese Entkopplung bewirken, sind noch völlig unbekannt.“, so Roenneberg. „Sie sind aber der Schlüssel zum Verständnis des zirkadianen Timings auf molekularer Ebene und der Frage, wie die Uhr Kontrolle über so viele zelluläre Prozesse ausübt. Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist die innere Uhr unter annähernd natürlichen Bedingungen zu untersuchen.“ (suwe)

Ansprechpartner:

Professor Dr. Till Roenneberg
Zentrum für Chronobiologie, Institut für Medizinische Psychologie
Phone: 089-5996-650 oder -654
E-Mail: roenneberg@lmu.de

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Luise Dirscherl idw

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