Warum kann jeder Sandburgen bauen?

Die Röntgen-Mikrotomographie eines Flüssigkeitsclusters in einer dichten Schüttung aus Glaskugeln (Durchmesser der Kugeln etwa 0,8 Millimeter) Bild: Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen<br>

Wer sich am Strand an der Bildhauerei mit feuchtem Sand versucht, braucht einiges an Geschicklichkeit und Phantasie, aber kein Rezeptbuch: Der Wassergehalt ist nämlich für die mechanischen Eigenschaften des Sandes weitgehend unwichtig. Diese Beobachtung, die auch genauen Messungen im Labor standhält, lässt Forscher rätseln. Denn schon bei einem Gehalt von nur etwa drei Prozent bildet die Flüssigkeit im Innern des Gefüges eine hochkomplexe Struktur. Dennoch bleibt die mechanische Steifigkeit des nassen Sandes in einem Feuchtigkeitsbereich von weniger als einem bis weit über zehn Prozent praktisch konstant, obwohl sich die flüssige Struktur in seinem Innern enorm verändert. Forscher am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, der „Australia National University“ in Canberra, der Universität Erlangen, sowie dem ESRF in Grenoble haben deshalb die flüssigen Strukturen in feuchten Granulaten mittels Röntgen-Mikrotomographie untersucht und dabei ihre Gesetzmäßigkeit entschlüsselt (Nature Materials, Online-Veröffentlichung am 10.2.2008).

Die Röntgen-Mikrotomographie ist in der Medizin auch unter dem Begriff Computertomographie bekannt. Wissenschaftler durchstrahlen dabei ein Objekt aus verschiedenen Winkeln mit Röntgenstrahlen und erstellen ein Schattenbild ähnlich einer gewöhnlichen Röntgenaufnahme. Ein Computer wertet alle diese Bilder aus und ermittelt, welche dreidimensionale Struktur das Objekt haben muss, um diese Schattenbilder zu erzeugen. Wenn Wissenschaftler dabei eine brillante Röntgenquelle nutzen, wie etwa die Synchrotron-Strahlungsquelle am ESRF in Grenoble, entstehen auf diese Weise Computertomographien mit einer Auflösung von wenigen Tausendstel Millimetern. Das ist genug, um die winzigen und dabei hochkomplexen flüssigen Strukturen aufzulösen, die sich in einem feuchten Granulat bilden, wie beispielsweise im Innern einer Sandburg.

Was Forscher zu sehen bekommen, ist zunächst verblüffend: Die Flüssigkeit durchsetzt das Granulat keineswegs vollständig, verdrängt also nicht die Luft aus den Zwischenräumen. Vielmehr entsteht ein filigranes Gebilde, in dem Flüssigkeit, Körner und Luft gleichermaßen nebeneinander bestehen. Der Grund hierfür ist recht leicht zu verstehen: Da die Flüssigkeit die Körner benetzt (sonst könnte man sie überhaupt nicht in das Granulat hineinbringen), möchte sie sich mit möglichst viel 'Korn' umgeben. Das geht am besten an den Kontaktstellen, an denen sich zwei Körner berühren. Der 'leere' Raum dazwischen ist für die Flüssigkeit relativ unattraktiv und füllt sich mit Luft.

Als die Göttinger Wissenschaftler nun die Geometrie dieser filigranen flüssigen Gebilde genauer untersuchten, stellten sie fest, dass sie nicht nur alle den gleichen Druck haben, sondern dass dieser auch unabhängig vom Flüssigkeitsgehalt sein muss. Dies ist der Schlüssel zu der universellen Steifigkeit des Materials: Der gleiche Druck entspricht einer gleichen Kraft im Inneren und führt somit zu gleichen mechanischen Eigenschaften des feuchten Granulats. „Diese Eigenschaften sind nicht nur beim Bau von Sandburgen entscheidend“, erklärt Stephan Herminghaus, der Leiter der Studie. „Sie sind für die Pharma- und Lebensmittelindustrie ebenso relevant wie für das Verständnis mancher Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Erdrutsche: Denn überall dort hat man es mit feuchten Granulaten zu tun, deren mechanische Eigenschaften wir nun besser verstehen.“

[SH/BA]

Originalveröffentlichung:

M. Scheel, R. Seemann, M. Brinkmann, M. DiMichiel, A. Sheppard, B. Breidenbach, S. Herminghaus
Morphological clues to wet granular pile stability
Nature Materials, Märzausgabe 2008, Online-Veröffentlichung unter http://www.nature.com/nmat/index.html

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Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

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