Ultraschallunterstützung verbessert Tiefbohren in hochfesten Guss

Veränderte wirtschaftliche Bedingungen forcieren gegenwärtig den Wandel in der Produktionstechnik. Mehr und mehr befindet sich die heutige Fertigungstechnik im Allgemeinen und die Zerspanungstechnik im Besonderen in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie.

Neue Werkstoffe fordern Zerspanung heraus

Die Einführung von neuen oder veränderten Werkstoffen stellt ständig neue Herausforderungen an die Zerspantechnik. Spanende Verfahren werden stetig optimiert und oft bis zu ihren Leistungsgrenzen ausgereizt.

Vor allem die Herstellung tiefer Bohrungen in Bauteile ist nach wie vor trotz intensiver Entwicklungen auf dem Werkzeug- und Schneidstoffsektor noch nicht optimal gelöst. Die Einführung der Trockenbearbeitung zur Realisierung einer ressourcenschonenden Produktion stellt für Tiefbohrbearbeitungen eine Herausforderung dar. Oft reicht die Optimierung eines einzelnen Prozesses nicht mehr aus, um wesentliche wirtschaftliche Fortschritte erzielen zu können. Zur Überwindung technologischer Grenzen bietet sich der Einsatz hybrider Techniken an.

Zusätzliche Axialbewegung beim Tieflochbohren im Mikrometerbereich

Die folgenden Ergebnisse entstanden innerhalb des Verbundprojektes Maine VII „Komplette Trockenbearbeitung von Präzisionsbauteilen“, das im Rahmen der Technologieförderung mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und mit Mitteln des Freistaates Sachsen gefördert wurde. Dieser Beitrag zeigt notwendige Voraussetzungen auf für eine ultraschallunterstützte Zerspanung sowie die Effekte und Potenziale anhand bisheriger Erfahrungen beim Tieflochbohren.

Der konventionelle Bohrprozess basiert auf einem kontinuierlichen Vorschub, der einen ununterbrochenen Schnitt bewirkt. Durch den zusätzlichen Einsatz von Körperschwingungen im Frequenzbereich des Ultraschalls erhält die kontinuierliche gleichförmige Bewegung der Bohrerschneiden auf einer Spiralbahn eine zusätzliche harmonische Axialbewegung mit Amplituden im Mikrometerbereich (Schwingungen des Bohrers entlang seiner Zentralachse).

Wie alle Körperschallwellen erzeugen auch Ultraschallwellen eine periodische Kompression und Dehnung des Mediums. Bei üblichen Amplituden von einigen Mikrometern und Frequenzen von über 20 kHz sind die Beschleunigungen so hoch, dass keine starre Bewegung erfolgt.

Teile und Schallwelle bewegen sich beim ultraschallunterstützten Bohren parallel

Ultraschallwellen in einem Körper bestehen deshalb aus periodisch wandernden Bereichen unterschiedlicher Dichte. Die Ultraschallschwingung weist eine bestimmte Richtung auf. Bei dem dargestellten ultraschallunterstützten Bohren breiten sich longitudinale Wellen aus. Kennzeichnend sind die Übereinstimmung von Hauptschwingrichtung der Volumenteilchen und Ausbreitungsrichtung der Welle.

Durch die Überlagerung des Bohrvorganges mit Schwingungen lässt sich die Spanform, also der Spanungsquerschnitt, aktiv beeinflussen. Eine mögliche Form der Beeinflussung besteht in der Generierung von „Sollbruchstellen“ im Span. Als „Sollbruchstellen“ werden dabei Orte am Span bezeichnet, die eine deutlich geringere Dicke als der Restspan aufweisen.

Ultraschallschwingung und Bohr-Vorschub addieren sich

Mit der zusätzlich überlagerten Schwingung ändern sich zudem die Geschwindigkeitsverhältnisse. Der senkrecht zur Schnittrichtung liegenden Vorschubbewegung wird beim ultraschallunterstützten Bohren eine Axialbewegung überlagert. Die Axialschwingung bewirkt eine Bewegung der Werkzeugschneiden in Richtung der Vorschubbewegung, so dass sich Schwingbewegung und Vorschubbewegung vorzeichenabhängig addieren.

Die Ultraschallüberlagerung bewirkt zudem eine Veränderung der Wirkwinkel während der Zerspanung. In der ersten Schwingungshalbperiode mit positiver Überlagerung von Schwinggeschwindigkeit und Vorschubgeschwindigkeit wird der Wirk-Spanwinkel gegenüber dem Werkzeug-Spanwinkel vergrößert, während sich der Wirk-Freiwinkel gegenüber dem Werkzeug-Freiwinkel verringert.

Span kann beim ultraschallunterstützten Bohren leicht abgleiten

In der zweiten Schwingungshalbperiode kehren sich die Verhältnisse durch die Richtungsumkehr um. Die Winkeländerung ist wesentlich an den Effekten einer ultraschallunterstützten Bohrbearbeitung beteiligt. Durch die großen Wirk-Spanwinkel in der ersten Schwingungshalbperiode kann der Span leicht über die Schneide abgleiten.

In der zweiten Schwingungshalbperiode, wenn der Wirk-Spanwinkel deutlich reduziert wird, findet im sich bildenden Span eine stärkere Umformung statt. Dabei besteht die Möglichkeit, dass der Span an einer Stelle mit reduziertem Querschnitt (Sollbruchstelle) bricht.

Reibung der Späne am Werkzeug wird verhindert

Gleichzeitig wird durch die kontinuierliche Winkeländerung verhindert, dass sich der Span dauerhaft an das Werkzeug, speziell an die Werkzeug-Spanfläche, anlegen kann. Auf diese Weise wird die Reibung am Werkzeug vermindert.

Das senkt einerseits das Schnittmoment im Prozess, andererseits lässt sich der entstehende Span leichter aus der Bohrung entfernen. Er übt damit einen kleineren Druck auf die Spanwurzel aus, was eine kleinere Zone plastischen Fließens und somit geringere Gratbildung beim Bohren bewirken kann.

Bild 1a (siehe Bildergalerie) zeigt ein Modell für das konventionelle Bohren und Bild 1b die Beeinflussung des Bohrvorgangs durch die Schwingungsüberlagerung. Die Darstellung ist zweidimensional, das heißt, die Schwingungen wirken axial (in Vorschubrichtung).

Ultraschallschwingungn verformen Werkstoff beim Tieflochbohren

Ersichtlich sind die intensiveren Verformungen im Werkstoff unter der Wirkung der Ultraschallschwingungen. Weiterhin ist im Bild 1b eine verstärkte Spankrümmung unter den Bedingungen der Schwingungsüberlagerung zu beobachten, was auf eine Anregung zum vorzeitigen Spanbruch hindeutet.

Eine häufig angewandte Methode der Ultraschalleinkopplung besteht in der Anregung des Werkzeuges über dessen Einspannung. Die Koppelstelle zwischen Spindel und schwingendem System ist dabei zu entkoppeln, was stets einen Kompromiss zwischen Dämpfung, Rückwirkung, Leistungsverlust und Stabilität darstellt.

Bild 2 zeigt anhand eines vereinfachten axialsymmetrischen 2D-Finite-Elemente-Modells das prinzipielle Schwingungsverhalten einer Vorrichtung zum ultraschallunterstützten Tieflochbohren. Die elektrisch erregte Piezokeramik erzeugt mechanische Axialschwingungen, die über die Werkzeugaufnahme auf den Bohrer übertragen werden.

Erfolgt die elektrische Anregung der Piezokeramik in einer günstigen Eigenfrequenz des Schwingungssystems, können an der Bohrerspitze entsprechend große Resonanzamplituden erreicht werden. Anhand der Simulationsergebnisse wurde die Konstruktion der Wandlertechnik für die Untersuchungen realisiert.

Ultraschall-Wandlertechnik ist einfach zu integrieren

Am IWU werden die wirtschaftlichen Effekte zum ultraschallunterstützten Bohren in unterschiedlichen Materialien intensiv untersucht. Basis für die Konzipierung und Entwicklung entsprechender prozessspezifischer Ultraschall-Wandlertechnik ist ein modularer Ansatz. Somit ist eine unkomplizierte Integration der Gerätetechnik in verfügbare konventionelle Maschinentechnik möglich.

Dabei wird in jüngster Zeit zur weiteren Reduzierung der Kosten der Einsatz von Kühlschmierstoffen drastisch reduziert. Hier stellt die Minimalmengenschmierung (MMS) auch beim Tieflochbohren eine Alternative zur Überflutungskühlschmierung (Sattstrahlbearbeitung) dar.

Tieflochbohren mit Minimalmengenschmierung untersucht

Am Beispiel der Tieflochbohrbearbeitung (L/D = 26) in den Kurbelwellenwerkstoff GGG 80 wurden die Möglichkeiten einer ultraschallüberlagerten Bohrbearbeitung unter den Bedingungen einer Quasitrockenbearbeitung (MMS) untersucht. Die Gewährleistung einer hohen Prozesssicherheit gepaart mit einer wirtschaftlichen Fertigung durch Minimierung von Fertigungskosten waren dabei die Entwicklungsziele.

Die Verfahrensparameter waren: Vollhartmetall-Einlippenbohrer mit 4 mm Durchmesser; MMS mit Luxol A15, Dosierung 100%, 10 ml/h; Bohrungstiefe 107 mm (plus 8 mm Pilotbohrung); Schnittbedingungen: vc = 70/74,5 m/min, f = 0,02/0,025 mm/U, Anregungsfrequenz 24 bis 27 kHz, Ultraschall-Schwingamplitude 6 bis 12 µm.

Ultraschall reduziert Werkzeugverschleiß beim Tieflochbohren

Die Untersuchungen zeigen, dass durch eine Ultraschallüberlagerung der Werkzeugverschleiß reduziert werden kann. Die Effekte werden insbesondere mit zunehmendem Standweg sichtbar (Bild 4). Zu Beginn der Bearbeitung ist kaum ein Unterschied zwischen den Bohrbearbeitungen mit beziehungsweise ohne Ultraschallüberlagerung hinsichtlich des Verschleißfortschrittes zu erkennen. Die Effekte einer Ultraschallüberlagerung kommen erst mit zunehmenden Bohrwegen zum Tragen und führen zu einem flacheren Anstieg der Verschleißkurven.

Unter Einsatz der Minimalmengenschmierung lassen sich die Vorschubkräfte im Vergleich zur Sattstrahlbearbeitung in etwa halbieren. Die überlagerten Schwingungen werden unter MMS-Bedingungen besonders wirksam.

Der spezifische Spanbildungsmechanismus beim ultraschallüberlagerten Bohren wird nicht zusätzlich durch hohe Drücke an der Schneidkante beeinflusst. Die im Bild 5 dargestellten Verläufe gelten für unterschiedliche Standwege. Die niedrigeren Vorschubkräfte wirken bei Minimalmengenschmierung auch noch nach einem dreifachen Standweg.

Späne können gut aus der Bohrung entfernt werden

Die Zerspanbarkeitseigenschaften der Eisengusswerkstoffe werden wesentlich von der Menge und der Ausbildung des eingelagerten Graphits beeinflusst. Die Graphiteinlagerungen reduzieren zum einen die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstoff und unterbrechen zum anderen das metallische Grundgefüge. Dies führt zu einer im Vergleich zu Stahl günstigeren Zerspanbarkeit, die sich durch kurzbrüchige Späne auszeichnet.

Bei den Untersuchungen war festzustellen, dass die Späne durch eine Ultraschallüberlagerung nicht nennenswert verkürzt werden. Es treten stets Spanbruchstücke auf, die gut aus der Bohrung entfernt werden können.

Gefügeuntersuchungen im Wirkbereich der Bohrung ergaben keinerlei erkennbare Unterschiede in der Gefügestruktur für die Bohrbearbeitung ohne beziehungsweise mit Ultraschallüberlagerung. Es konnten auch keine Veränderungen zum Kerngefüge des Werkstoffes festgestellt werden.

Tieflochbohren mit Minimalmengenschmierung realisierbar

Die Untersuchungen ergaben positive Ergebnisse unter den Bedingungen einer Minimalmengenschmierung. Die geforderten Bohrungsqualitäten konnten eingehalten oder verbessert werden, die Standmengen ließen sich auch bei erhöhten Vorschüben durch Ultraschall wesentlich verbessern.

Verfahren mit kombinierten Wirkenergien verfügen über ein erhebliches Potenzial zur Leistungssteigerung in der spanenden Fertigung. Die optimale Untersetzung hybrider Prozesse erfordert aber den Konsens zwischen Prozess, Kühlschmierstoffstrategie, Wandlertechnik, Werkzeug, Werkzeugmaschine sowie entsprechenden Überwachungs- und Regelungsstrategien zur Erzielung einer guten Reproduzierbarkeit.

Bei dem herrschenden Kostendruck wird eine Fertigungstechnik wie die ultraschallunterstützte Bohrbearbeitung auf breiter Front nur einführbar sein, wenn potenziellen Anwendern Informationen über die Prozesssicherheit und Wirtschaftlichkeit, den dafür notwendigen Prozessparametern und -bedingungen, den Genauigkeiten sowie die Verfügbarkeit entsprechender Gerätetechnik zu ansprechenden Preisen zur Verfügung gestellt werden.

Prof. Dr.-Ing. habil. Reimund Neugebauer ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Chemnitz; Dr.-Ing. Andrea Stoll und Dr.-Ing. Hans-Jürgen Roscher sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut.

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Bernhard Kuttkat MM MaschinenMarkt

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