Ein Meilenstein der Gedächtnisforschung

Wer kennt das nicht: Auf einer Party werden uns eine Reihe von Personen vorgestellt, doch im Gedächtnis bleiben uns nur zwei oder drei Namen – der Rest ist für unser Gehirn „Schall und Rauch“. Aber was muss in unserem Kopf passieren, damit wir uns später an einen Namen, eine Telefonnummer oder ein Gesicht erinnern und es nicht sofort wieder vergessen? Bonner Wissenschaftler sind der Antwort auf diese Frage einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Sie untersuchten bei Epilepsie-Patienten die elektrische Aktivität zweier benachbarter Hirnregionen. Ergebnis: Wenn wir uns später erinnern sollen, müssen die beiden Areale Hand in Hand arbeiten. Die Studie wird in der Dezemberausgabe von Nature Neuroscience veröffentlicht.

Die anatomischen Strukturen, die über Erinnern oder Vergessen entscheiden, liegen in der Tiefe des Schläffenlappens: der sogenannte „Hippokampus“ und der „rhinale Kortex“. Die Regionen, die lediglich 15 Millimeter auseinander liegen, spielen bei der Gedächtnisbildung eine bedeutende Rolle: Wird eine der beiden Strukturen verletzt, kann die betroffene Person keine neuen Erinnerungen speichern.

Dr. Jürgen Fell und seine Kollegen von der Arbeitsgruppe für kognitive Neurophysiologie unter Leitung von Dr. Guillén Fernández nahmen daher diese „Gedächtnis-Regionen“ genauer unter die Lupe. Normalerweise kleben die Mediziner bei derartigen Untersuchungen ihren Versuchspersonen Elektroden auf die Schädeldecke, mit deren Hilfe sie die elektrische Aktivität messen können. Der geringe Abstand von Hippokampus und rhinalem Kortex macht jedoch getrennte Messungen mit Hilfe solcher „Oberflächen-Elektroden“ unmöglich.

Bei Patienten mit schweren Epilepsien implantiert man jedoch aus medizinischen Gründen Elektroden direkt in das Gehirn und versucht so, die „Fallsucht“ in den Griff zu bekommen. Fell und Fernández untersuchten eine Gruppe von neun Epilepsie-Patienten, denen derartige „Tiefenelektroden“ in den mittleren Schläfenlappen implantiert worden waren. Den Wissenschaftlern gelang es so, das Hirnstrom-Muster der beiden Gedächtnis-Regionen aufzuzeichnen. Währenddessen präsentierten sie den Versuchspersonen eine Reihe von Wörtern, die sie sich einprägen sollten. Waren die Hirnströme in den beiden untersuchten Regionen für wenige hundert Millisekunden genau im Gleichtakt, also synchronisiert, konnten die Probanden sich später an das zu dieser Zeit gezeigte Wort erinnern.

Nach Ansicht der Bonner Wissenschaftler spricht die Synchronisation der Hirnströme für eine Zusammenarbeit von rhinalem Kortex und Hippokampus. Man nimmt heute an, dass verschiedene Aspekte eines Sinneseindrucks in unterschiedlichen Hirnregionen verarbeitet werden: Betrachtet man beispielsweise einen grünen Ball, so wird die Information für die Farbe „grün“ von anderen Nervenzellen ausgewertet als die Information für die Form „Kugel“. Im rhinalen Kortex werden die verschiedenen Aspekte wieder zusammengefügt und im Zusammenspiel mit dem Hippokampus ins Gedächtnis überführt.

Bei ihren amerikanischen Fachkollegen ernteten die Bonner Hirnforscher bereits höchstes Lob für ihre Studien: Der Hirnforscher Anthony Wagner vom Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) bezeichnet die Ergebnisse als „Meilenstein“ in der Gedächtnisforschung.

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