Computer als Vormund unmündiger Patienten

Eine neue Software soll den mutmaßlichen Willen schwer kranker Patienten ermitteln, die sich über ihre medizinische Behandlung nicht mehr äußern können.

Das von Wissenschaftlern des National Institute of Health entwickelte Computerprogramm trifft seine Entscheidungen auf Basis verschiedener Fallstudien, bei denen Teilnehmer Angaben zu ihrem medizinischen Willen bei fiktiven Krankheitsszenarien gemacht haben. Dabei fassten die Wissenschaftler die Befragten nach sozio-ökonomischen Faktoren in Gruppen zusammen, was einen exakten Vergleich mit dem Lebensstil des Patienten und dessen vermuteten medizinischen Willen garantieren soll.

In einem ersten Schritt gibt der behandelnde Arzt das genaue Krankheitsbild des Patienten und dessen Indikatoren für seinen sozialen Status in das neu entwickelte Programm ein. Dieses vergleicht die Werte mit den angegebenen Präferenzen der zugehörigen sozialen Gruppe und berechnet auf dieser Grundlage die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Patient eine bestimmte medizinische Behandlung gewünscht hätte. „Die Studie belegt die gravierenden Unterschiede in der Vorgehensweise der medizinischen Versorgung von Patienten in den USA und Deutschland“, sagt Arnd May vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen im Gespräch mit pressetext. „Während in Deutschland zunächst Diagnose und Therapiemöglichkeiten bestimmt werden und anschließend der Patientenwille berücksichtig wird, läuft dieser Prozess in Amerika genau anders herum.“ In Deutschland sei der Spielraum viel geringer. „Hier gilt ohne Kenntnis der Patientenwünsche die einfache Regel: in dubio pro vitae,“ so May.

Hat der betroffene Patient selbst keine Angaben darüber gemacht, welche Behandlung er sich im Falle einer schweren Erkrankung wünscht, befragen die behandelnden Ärzte oft die engsten Familienangehörigen. Die amerikanischen Wissenschaftler um David Wendler wiesen mit einer Analyse von 16 Studien jedoch nach, dass die Befragten nur in 68 Prozent der Fälle die richtige Entscheidung getroffen haben. Die Forscher verglichen deshalb ihre Software mit den Empfehlungen der engsten Angehörigen. Demnach gab ihre Software ähnlich gute Entscheidungen. Würde sie auf einer größeren Menge von Fallstudien basieren, sei das Programm vermutlich sogar zuverlässiger, schreiben die Wissenschaftler in der Public Library of Science Medicine http://medicine.plosjournals.org/perlserv/?request=get-document&doi=10.1371/journal.pmed.0040035 .

„Ich bezweifle, dass die Gruppenbildung von Patienten eine gute Entscheidungsgrundlage liefert“, sagt Arnd May. „Unsere eigenen Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass dieses Vorgehen untauglich ist, um die Wünsche der Patienten zuverlässig zu ermitteln.“ Auch die Ermittlung der Einschätzung sei wissenschaftlich zweifelhaft. „Zwischen fiktiven und tatsächlichen Entscheidungen können Unterschiede vorliegen“, sagt May. Generell bestehe in einem Vorgehen, wie es von den amerikanischen Wissenschaftlern vorgeschlagen worden ist, die Gefahr, dass sich eine neue gesellschaftliche Drucksituation entwickelt. „Denn eine Entscheidung, die im Gegensatz zur Meinung einer gesellschaftlichen Gruppe steht, wird schnell begründungsbedürftig“, sagt May. „Eine solche Entwicklung sollten wir in der Medizin vermeiden.“

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Christoph Marty pressetext.austria

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