Demographische Schrumpfung in Ostdeutschland keine Einbahnstraße

Bevölkerungsexperten des Leibniz-Instituts für Länderkunde decken räumliches Nebeneinander von „Stabilitätsinseln“ und Abwanderungsgebieten auf


Während die Bevölkerung in den meisten Regionen der alten Bundesländer im zurückliegenden Jahrzehnt weiter gestiegen ist, hat in Ostdeutschland in den letzten Jahren ein fast flächendeckender Schrumpfungsprozess eingesetzt. Dies zeigen laufende Forschungen des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL) in Leipzig. Danach beginnen selbst die suburbanen Räume um die großen Städte, die Mitte der 1990er-Jahre noch einen deutlichen Bevölkerungszuwachs erlebt hatten, wieder zu schrumpfen. Aus dieser demographischen Schrumpfungslandschaft treten aber einige Regionen positiv hervor.

Für ihre Analyse der Wanderungsbewegungen in Ostdeutschland haben die IfL-Wissenschaftler umfangreiches statistisches Material ausgewertet und kartographisch dargestellt. Um neue Erkenntnisse über kleinräumige Migrationsprozesse zu gewinnen, beziehen die Leipziger Experten die Gemeindeebene in ihre Analyse ein. Bisherige Studien zur demographischen Entwicklung stützen sich meist auf die statistische Untersuchung von Raumordnungsregionen oder Landkreisen.

Wie die Karte der Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden in Ostdeutschland für den Zeitraum 2000 bis 2002 zeigt, ist das Phänomen der demographischen Schrumpfung keine Einbahnstraße, sondern durch ein räumliches Nebeneinander unterschiedlicher Entwicklungen gekennzeichnet: wenigen „Stabilitätsinseln“ stehen große Bereiche mit starken Bevölkerungsverlusten gegenüber. Die wenigen Stabilitätsinseln sind die Stadtregionen Berlin, Dresden, Leipzig und die thüringische Städtereihe, ergänzt durch kleinere Räume entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze und der Ostseeküste. Das negative Pendant dazu bilden Bänder von altindustriellen Regionen, etwa von Dessau bis Gera, von zu DDR-Zeiten industrialisierten ländlichen Regionen entlang der Grenze zu Polen und von ländlichen peripheren Räumen wie zum Beispiel in Vorpommern. Hier sehen die Experten des Leibniz-Instituts für Länderkunde die Problemräume der Zukunft.

Die in den neuen Ländern insgesamt niedrigen Geburtenraten spielen für die regionale Polarisierung der demographischen Entwicklung eine eher geringe Rolle. Diese sind nach dem massiven Rückgang nach der Wende wieder leicht angestiegen, ohne jedoch bis heute das Vorwendeniveau erreicht zu haben.

Als Gründe für die aktuellen Polarisierungstendenzen haben die Wissenschaftler vielmehr die regional differenzierten Abwanderungsströme in die alten Länder ausgemacht. Während die Stabilitätsinseln aufgrund ihres positiven Images und ihres vergleichsweise attraktiven Angebots an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen nur geringe Wanderungsverluste an die alten Länder und somit stabile bis leicht ansteigende Bewohnerzahlen aufweisen, verlieren Städte wie Cottbus, Halle und Dessau allein durch die Westwanderung jährlich mehr als zwei Prozent ihrer Bevölkerung.

Sollte der aktuelle Abwanderungstrend bis 2050 anhalten, würde das bedeuten, dass die Bevölkerung in großen Teilen Ostdeutschlands sich gegenüber heute um mehr als die Hälfte reduziert – wenn nicht schon vorher eine Situation eintritt, in der alle herkömmlichen Versorgungssysteme versagen. Und dies, so die Leipziger Bevölkerungsexperten, sei kein Horrorszenario. Sie fordern deshalb einen konsequenten Paradigmenwechsel in der ostdeutschen Raumplanung vom Wachstum zur Schrumpfung und innovative Konzepte für nachhaltige Rückzugsstrategien aus der Fläche. Dies verlange den Mut der Politik, notwendige Maßnahmen rechtzeitig zu ergreifen, die Bevölkerung ausreichend zu informieren und, falls nötig, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Ihre Ansprechpartner für weitere Informationen:

Dr. Günter Herfert
Leibniz-Institut für Länderkunde, Abteilung Deutsche Landeskunde
Tel.: 0341/255-6513
Fax: 0341/255-6598
E-Mail: G_Herfert@ifl-leipzig.de

Dr. Peter Wittmann
Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 0341/255-6574
Fax: 0341/255-6598
E-Mail: P_Wittmann@ifl-leipzig.de

Media Contact

Peter Wittmann idw

Weitere Informationen:

http://www.ifl-leipzig.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Gesellschaftswissenschaften

Der neueste Stand empirischer und theoretischer Erkenntnisse über Struktur und Funktion sozialer Verflechtungen von Institutionen und Systemen als auch deren Wechselwirkung mit den Verhaltensprozessen einzelner Individuen.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Demografische Entwicklung, Familie und Beruf, Altersforschung, Konfliktforschung, Generationsstudien und kriminologische Forschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer