Neue und alte Seuchen: Wächst die Gefahr?

„Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass die folgenschwersten Infektionskrankheiten nach wie vor alte Bekannte wie Tuberkulose, HIV/AIDS, Malaria oder Hepatitis C sind. Weltweit sterben an diesen Krankheiten pro Jahr rund sechs Millionen Menschen“, betont Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan H. E. Kaufmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie, Berlin, beim 2nd European Congress of Immunology ECI 2009. „Gegen diese großen Seuchen benötigen wir dringend Impfstoffe!“

Neue Risiken werden meist schlimmer empfunden als altbekannte, die gerne verdrängt werden. „Die Schweinegrippe ist für Deutschland derzeit eine empfundene Bedrohung, während Tuberkulose, HIV/AIDS, Malaria und Hepatitis C reale Bedrohungen darstellen“, betont der Infektionsexperte, der gleichzeitig Präsident der European Federation of Immunological Societies EFIS* und Vizepräsident der International Union of Immunological Societies IUIS ist. Der Wissenschaftler will mit dieser Aussage verzerrte Wahrnehmungen zurechtrücken, aber keineswegs die Schweinegrippe herunterspielen, die weltweit bislang etwa 3500 Todesopfer gefordert hat. „Denn auch diese Grippe kann durch weitere Mutationen gefährlicher werden, so wie die Spanische Grippe 1918. Aber: Die Immunologie bietet heute die Möglichkeit, Impfstoffe dagegen zu entwickeln.“

Tuberkulose: Impfstoff dringend gebraucht

Im Gegensatz zur Grippe ist dies bei den genannten großen Seuchen bislang nicht hinreichend gelungen. Die Impfstoffentwicklung ist äußerst aufwendig und bringt zumindest für die vernachlässigten Krankheiten geringe Renditen für die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Eine dieser vernachlässigten Krankheiten ist die Tuberkulose. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war sie noch Todesursache Nummer 1 in Deutschland und Europa. In den 1960er Jahren galt die Krankheit als besiegt. Heute ist sie, begünstigt durch die Ausbreitung von AIDS, vor allem in Afrika, Asien und Osteuropa wieder aufgeflammt. Und sie hat neue Formen entwickelt, die gegen herkömmliche Medikamente resistent sind. Über neun Millionen Menschen erkranken jährlich an Tuberkulose, zwei Millionen sterben daran.

Auf der Weltgesundheitskonferenz im April dieses Jahres in Peking warnte die
Generalsekretärin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Chan: „Die Lage derzeit ist alarmierend. Sie droht sehr schnell noch viel schlimmer zu werden … Wenn wir gegen das neue Problem nicht mit aller Kraft angehen, werden wir es bald in 95 Prozent der Fälle mit resistenten Erregern zu tun haben.“ Zu den Faktoren, die die Entwicklung multiresistenter Erreger begünstigen, gehören vorzeitig abgesetzte Antibiotika im Krankheitsfall sowie der massenhafte Einsatz dieser Medikamente in der landwirtschaftlichen Tierhaltung.

Zwar gibt es gegen die Tuberkulose bereits seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Impfstoff: Bacille-Calmette-Guérin (BCG). Dieser schützt aber nur gegen die heftig verlaufende Tuberkulose des Kleinkinds und nicht gegen die häufigste Form dieser Krankheit, die Lungentuberkulose des Menschen. Seit einigen Jahren arbeiten weltweit mehrere Gruppen an einem verbesserten Impfstoff gegen Tuberkulose. Am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie hat das Team von Kaufmann einen Impfstoff entwickelt, der eines Tages BCG ersetzen soll. Dieser verbesserte Impfstoff zeigt in präklinischen Modellen deutlich bessere Wirkung und höhere Sicherheit. Derzeit befindet sich dieser Impfstoff in Deutschland in einer klinischen Studie der Phase I, die von der „Vakzine Projekt Management“ durchgeführt wird. „Die Arbeiten über Tuberkulose sind aber zeitaufwendig, so dass mit einem neuen Impfstoff gegen Tuberkulose frühestens in ca. 10 Jahren gerechnet werden kann“, betont Kaufmann.

Strategien für die globale Seucheneindämmung hat der renommierte Wissenschaftler bereits im Rahmen eines Buchs** in allgemein verständlicher Weise formuliert. Dabei macht ihm die Entwicklung im eigenen Land durchaus Sorgen: „Obwohl Impfungen zu den kosteneffizientesten Maßnahmen der Medizin gehören, findet die Impfstoffentwicklung in der Öffentlichkeit häufig nicht die ihrem gesellschaftlichen Wert entsprechende Beachtung“, kritisiert er. „In vielen Industrieländern macht sich sogar eine zunehmende Impfmüdigkeit bemerkbar, die dazu führt, dass z. B. in Deutschland immer wieder Masernausbrüche zu verzeichnen sind.“

Globale Philanthropen gesucht

Aufgrund der aufwendigen Arbeiten sollten neue Impfstoffe in Partnerschaften entwickelt werden, schlägt Kaufmann vor. Hierbei sollten bereits sehr früh Strategien entwickelt werden, die eine Verteilung der Impfstoffe zu erschwinglichen Preisen in armen Ländern ermöglichen, z. B. durch garantierte Abnahme von Impfstoffen und globale Zugangsstrategien. Bislang gelang es einmal, eine Infektionskrankheit – die Pocken – zu eliminieren. Berechtigte Hoffnung besteht, dass dieses Ziel auch für Kinderlähmung und Masern erreicht wird. Obwohl technisch machbar, stehen diesem Ziel politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gründe entgegen. In den letzten Jahren haben multidisziplinäre Organisationen, insbesondere die Global Alliance for Vaccination and Immunization durch breit angelegte Programme die Grundimpfung in zahlreichen Ländern der Erde, unabhängig von deren wirtschaftlichen Lage, ermöglicht. „Dies ist ein großer Erfolg von 'Public-Private-Philanthropic Partnerships'“, unterstreicht der Wissenschaftler.

Bislang wurde die Impfung ausschließlich zur Kontrolle von Infektionskrankheiten eingesetzt. In neuerer Zeit werden weitere Anwendungsbereiche durch die Erkenntnisse der modernen Immunologie erschlossen, so Impfungen gegen Allergien, Autoimmunerkrankungen und Krebs.

*EFIS (European Federation of Immunological Societies) ist der Dachverband der nationalen immunologischen Fachgesellschaften in Europa. Zu EFIS zählen 28 nationale Fachgesellschaften in 31 europäischen Ländern mit insgesamt 13.000 Mitgliedern. Gemeinsame Plattform ist der European Congress of Immunology, der all drei Jahre stattfindet – in diesem Jahr unter dem Motto: „Immunity for Life – Immunology for Health“ vom 13. bis 16. September in Berlin. Der Kongress bietet über vier Tage ein umfassendes Programm zum aktuellen Wissensstand in der Immunologie. Das Themenspektrum in den mehr als 30 Symposien und 60 Workshops reicht von der Grundlagenforschung bis zur angewandten Immunologie. Im Mittelpunkt stehen die Erkenntnisse zur angeborenen und erworbenen Immunität, die verschiedenen Aspekte immunologischer Erkrankungen sowie die neuesten Möglichkeiten von Immun-Interventionen. Kongresspräsident Professor Reinhold E. Schmidt, Klinik für Immunologie und Rheumatologie der Medizinischen Hochschule Hannover, lädt Journalisten sehr herzlich dazu ein.

**Buchtipp:
Kaufmann, S.H.E.: Wächst die Seuchengefahr? Globale Epidemien und Armut:
Strategien zur Seucheneindämmung in einer vernetzten Welt (Klaus Wiegand, ed.), ISBN 978-3-596-17664-9, Fischer Taschenbuchverlag Frankfurt (2007)

Ansprechpartner für Rückfragen:

Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan H. E. Kaufmann

Direktor
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie
Department of Immunology
Charitéplatz 1
10117 Berlin
Tel: +49 30 28460-500/ -506
Fax: +49 30 28460-501
E-Mail: kaufmann@mpiib-berlin.mpg.de
Internet: http://www.mpiib-berlin.mpg.de/
Prof. Dr. med. Reinhold E. Schmidt
Klinik für Immunologie und Rheumatologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Tel.: +49-511-532-6656
Fax: +49-511-532-9067
E-Mail: immunologie@mh-hannover.de
Internet: www.mh-hannover.de/kir.html
Dr. med. Julia Rautenstrauch
Pressereferentin ECI 2009 Berlin
MedCongress GmbH
Geschäftsführer:
Dr. Julia Rautenstrauch, Hans-Joachim Erbel
Postfach 70 01 49
70571 Stuttgart
Tel: +49 711 72 07 12 0
Fax: +49 711 72 07 12-29
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