Genevolution bietet Erklärungsansatz für Entstehung von Metastasen und geistiger Behinderung

Apikale Tight Junctions (rot), an deren Stabilisierung Dlg3 beteiligt ist.<br>Foto: Prof. Dr. Heiko Lickert<br>

Die in der aktuellen Ausgabe von Developmental Cell vorgestellten Erkenntnisse helfen dabei, die Entstehung von Metastasen und geistiger Behinderung besser zu verstehen und langfristig gezielt therapeutische Behandlungsansätze zu entwickeln.

Mutationen des Tumorsuppresor-Gens Dlg lösen bei Fruchtfliegen Krebs und Metastasen aus, bei Säugetieren geistige Behinderung. Warum die Dlg Genfamilie bei Säugetieren evolutionär andere Funktionen dazu gewonnen haben, fanden die Wissenschaftler um Prof. Dr. Heiko Lickert vom Institut für Stammzellforschung des Helmholtz Zentrums München in Zusammenarbeit mit Kollegen der Abteilung für Proteinanalytik und des Instituts für Toxikologie nun heraus.

Fruchtfliegen haben eine Kopie des Dlg-Gens, das die Zellproliferation* und die basolaterale Zellpolarität* mitsteuert. Säugetiere haben vier Kopien des Dlg-Gens, die sich unterschiedlich entwickelt haben. Dlg3* hat durch diese Veränderungen eine neue Funktion erhalten. Es richtet die Zellen apikal* aus und stabilisiert als Gerüstprotein Tight Junctions*. Zu dieser neuen Funktion haben geringfügige Veränderungen in der Abfolge der Aminosäuren des vom Dlg3-Gen produzierten Proteins geführt. Sie ermöglichen die Wechselwirkung mit anderen Proteinen und dadurch, die Ausrichtung der apikalen Seite der Zelle festzulegen und aufrecht zu erhalten.

Dieser Funktionsgewinn des Säugetier-Dlg3 könnte im Fall einer Mutation zu einer veränderten Gewebestruktur des Spemann-Mangold-Organisator* führen, der für die neurale Induktion und normale Gehirnbildung entscheidend ist. Andere Studien hatten gezeigt, dass Mutationen im menschlichen Dlg3 mit geistiger Behinderung einhergehen. Die Wissenschaftler könnten also die Krankheitsursache entdeckt haben, die auch beim Menschen entscheidend ist und die sie als Angriffspunkt für neue Therapien und Wirkstoffe nutzen können. Folgestudien sollen den Mechanismus detaillierter beleuchten, denn „je mehr wir über die Mechanismen wissen, die zum Verlust der Zellpolarität und zur Metastasenbildung oder geistigen Behinderung führen, desto besser lassen sich neue Therapie- und Wirkstoffansätze entwickeln“, so Lickert.

Weitere Informationen

Bildunterschrift:
Apikale Tight Junctions (rot), an deren Stabilisierung Dlg3 beteiligt ist.
Hintergrund
*Dlg Gen: Tumorsuppressorgen, welches die Zellproliferation und die Zellpolarität steuert. Wird es mutiert kommt es zu neoplastischen Tumoren, d.h. Zellen proliferieren unkontrolliert, verlieren die Zellpolarität und metastasieren in Folge. Fruchtfliegen haben nur eine Kopie des Dlg-Gens, bei Säugetieren umfasst die Dlg-Genfamilie 4 Gene.

*Zellproliferation: Zellvermehrung durch Zellwachstum und Zellteilung

* Apikale/ Basale/ Laterale Zellpolarität: lokale Ausrichtung einer Zelle im Zellverbund in außen (apikal), innen (basal) und seitlich (lateral). Dies ist wichtig, weil an den verschiedenen Seiten einer Zelle verschiedene Funktionen ablaufen.

*Dlg3: Tumorsuppressorgen bei Säugetieren. Ist dieses Gen mutiert, führt das zu geistiger Behinderung. Dlg 3 steht für Disks large homolog 3, neuroendocrine-DLG oder synapse-associated protein 102. Es ist auf dem X-Chromosom lokalisiert.

*Tight Junctions: „Nähte“ aus Membranproteinen, die benachbarte Zellen zusammenhalten und damit auch die Zellwände stabilisieren. Die Tight Junctions verschließen den Zellzwischenraum und bilden eine Diffusionsbarriere, über die Proteine selbst ist ein Austausch zwischen den Zellen möglich.

* Spemann-Mangold-Organisator: Struktur im Embryo während der Gastrulation, die die Entwicklung aller übrigen Zellen, inkl. der neuronalen Strukturen, organisiert

Original-Publikation:
C Van Campenhout et al.(2011) Dlg3 trafficking and apical tight junction formation is regulated by Nedd4 and Nedd4-2 E3ubiquitin ligases, Developmental Cell, Volume 21, Issue 3, 479-491;

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 1.900 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 17 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 31.000 Beschäftigten angehören. http://www.helmholtz-muenchen.de

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Fachlicher Ansprechpartner
Prof. Dr. Heiko Lickert, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Stammzellforschung und Institut für Diabetes und Regenerationsforschung, Ingolstädter Landstraße 1 85764 Neuherberg – Tel.: 089-3187-3760 – E-Mail: heiko.lickert@helmholtz-muenchen.de

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