Egoistisches Gen hält sich zurück

Phasenkontrastaufnahme von Maus-Spermien mit Zellkern-(DAPI)-Färbung (rot)<br>Bild: Max-Planck-Institut für molekulare Genetik<br>

Höhere Tiere und Menschen, deren Erbgut einen doppelten Chromosomensatz aufweist, verteilen ihre Merkmale meist gleichmäßig auf ihre Nachkommen. Jedoch existieren in der Natur einige Ausnahmen dieses Vererbungsmusters: Im Laufe der Evolution entwickelte sich z. B. eine „egoistische“ Version von Chromosom 17, der t-Haplotyp, der in vielen wild lebenden Mauspopulationen vorkommt. Spermazellen von Männchen mit der „egoistischen“ Form des Chromosoms 17 sind schneller als die mit dem „normalen“ Chromosom. Daher setzt es sich bei bis zu 99 Prozent aller Nachkommen durch. Dies wird durch eine Variante (Tcr) des sogenannten Smok1-Gens ermöglicht, das die Beweglichkeit der Spermien reguliert. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik haben nun herausgefunden, dass Tcr nur in den schnelleren Spermazellen wirksam wird. (Genes and Development, 1. Dezember 2009).

Männliche Keimzellen entwickeln sich in einem Zellverband, in dem sie Genprodukte, vor allem Proteine und Boten-RNA, untereinander austauschen. Dadurch gleichen sie Unterschiede in ihren Eigenschaften aus, die sich nach der Reduktionsteilung (Meiose) durch die Ausprägung unterschiedlicher Genausführungen ergeben würden, die im halben Erbgutsatz vorhanden sind.

Wie sich dennoch unterschiedlich schnelle Spermien bei Mäusen bilden können, war bislang unklar. Wissenschaftler um Bernhard Herrmann vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik haben nun gezeigt, dass der Austausch der Genprodukte verhindert werden kann, indem ein spezielles Gen (Tcr) erst nach der Reduktionsteilung abgelesen, die Boten-RNA in der Ursprungszelle festgehalten und dann mit einer zeitlichen Verzögerung in Proteine übersetzt wird. Dadurch entstehen zwei verschiedene Spermienpopulationen: Zellen, die das Tcr-Gen besitzen, haben einen Schnelligkeits-Vorteil im Wettlauf um die Befruchtung der Eizelle. Diejenigen, die das Gen nicht besitzen, sind deutlich langsamer und deshalb im Nachteil. „Unsere Versuche haben erstmalig gezeigt, wie durch den Einfluss eines einzelnen Gens zwei Spermienpopulationen mit unterschiedlichen physiologischen Eigenschaften entstehen und wie solche Gene ihre eigene Vererbungsrate beeinflussen können“, sagt Herrmann.

Die Forscher hatten das Tcr-Gen um eine kurze Sequenz verlängert und dadurch markiert. So konnten sie sowohl die abgelesene Boten-RNA als auch das Protein sichtbar machen und ihr Verhalten beobachten. Auffällig war, dass die RNA über lange Zeit innerhalb oder nahe des Zellkerns bleibt und daher nicht zu den benachbarten Zellen transportiert werden kann. Erst sehr spät im Entwicklungsprozess, nach der Isolierung individueller Spermien aus dem Zellverband, zeigt sich dann das Protein. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das „normale“ Gen (Smok1) die gleichen Eigenschaften aufweist wie die „egoistische“ Variante des Gens (Tcr). Daher vermuten sie, dass auch andere Gene ihre eigene Vererbungsrate beeinflussen können.

Das Smok1-Gen und seine Variante Tcr spielen eine zentrale Rolle bei der Geschwindigkeitsregulierung und Steuerung von Spermien. Wie diese Prozesse kontrolliert werden, ist bislang jedoch noch nicht vollständig verstanden und wird weiter untersucht.

Originalveröffentlichung:

Nathalie Véron, Hermann Bauer, Andrea Y. Weiße, Gerhild Lüder, Martin Werber, and Bernhard G. Herrmann
Retention of gene products in syncytial spermatids promotes non-Mendelian inheritance as revealed by the t complex responder

Genes and Development, 1.12.2009

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Patricia Marquardt
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Tel.: +49 30 8413-1716
E-Mail: patricia.marquardt@molgen.mpg.de
Prof. Bernhard Herrmann
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Tel.: +49 30 8413-1409
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