Göttinger Forscher entschlüsseln Genom eines pathogenen Colibakteriums

Darmbakterien mit Doppelleben: Escherichia coli sind ein wichtiger Teil der menschlichen und tierischen Darmflora. Aus diesen harmlosen „Darmbewohnern“, so genannten Kommensalen, können jedoch auch Varianten entstehen, die die Harnwege besiedeln und dort Infektionen hervorrufen. Das Genom eines solchen uropathogenen E.coli-Stammes haben jetzt Wissenschaftler der Georg-August-Universität entschlüsselt. Die genetischen Informationen bildeten die Basis für weitere Untersuchungen an diesem Colibakterium, die in Kooperation mit einem Wissenschaftlerteam der Universität Würzburg sowie Experten in Frankreich und Ungarn durchgeführt wurden. Dabei konnten auch wichtige Faktoren der Uropathogenität analysiert werden, wie der Leiter des Göttinger Labors für Genomanalyse, Prof. Dr. Gerhard Gottschalk, erläutert. Über die Ergebnisse der Forschungsarbeiten berichteten die Fachzeitschriften „Science“ und „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS).

Sequenziert wurde das Genom des uropathogenen E.coli-Stammes 536, der bereits intensiv von den Würzburger Forschern unter der Leitung des Infektionsbiologen Prof. Dr. Jörg Hacker untersucht worden ist. Die freigelegten genetischen Informationen wurden mit den bereits bekannten Genomsequenzen des kommensalen Escherichia coli-Stammes und drei weiterer, pathogener Stämme verglichen. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Unterschiede zwischen „guten“ und „schlechten“ Colibakterien durch mosaikartige Einschübe von genetischem Material in die Erbsubstanz bestimmt werden. Prof. Hacker hat dafür die Bezeichnung Pathogenitätsinseln geprägt. Beim E.coli-Stamm 536 sind es die Gene von sechs Pathogenitätsinseln, die Auslöser für Harnwegsinfektionen sind. Mit Hilfe der entschlüsselten Genom-Informationen konnten die Forscher auch das „Wesen“ der Uropathogenität analysieren. Es sind Faktoren, die das Anheften der Bakterien in den Harnwegen ermöglichen, die Erschließung von Nährstoffen sichern und die Freisetzung von Giftstoffen bewirken.

Von besonderer Bedeutung ist für die Wissenschaftler die Charakterisierung einer Pathogenitätsinsel, die Gengruppen mit Informationen zur Bildung von Wirkstoffen wie Toxinen oder Antibiotika enthält. Diese so genannten PKS-Inseln sind nicht nur in den uropathogenen E.coli-Stämmen, sondern auch in den harmlosen Kommensalen vorhanden; sie haben eine toxische Wirkung, durch die benachbarte Zellen absterben. Wie Prof. Gottschalk betont, erscheint Escherichia coli damit „in einem neuen wissenschaftlichen Licht“. Das Bakterium lebt im Darm und in den Harnwegen nicht einfach neben den menschlichen Zellen her, sondern kann diese offenbar durch Unterbrechung der DNA-Vermehrung abtöten und damit seinen Lebensraum sichern. Diese Erkenntnis werde weitere Forschungen nach sich ziehen, zum Beispiel zu möglichen Einflüssen auf die Entstehung von Krankheiten, so der Göttinger Wissenschaftler. „Mit Hilfe der Entschlüsselung von Genomsequenzen können selbst bei so gut erforschten Mikroorganismen, wie es das Darmbakterium E.coli ist, noch völlig neue Einsichten gewonnen werden, wenn dazu leistungsfähige und ideenreiche Partner kooperieren.“

Science: Ausgabe vom 11. August 2006
PNAS: Ausgabe vom 22. August 2006
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Gerhard Gottschalk
Georg-August-Universität Göttingen
Biologische Fakultät
Institut für Mikrobiologie und Genetik
Grisebachstraße 8, 37077 Göttingen
Telefon (0551) 39-4041, Fax (0551) 39-4195
e-mail: ggottsc@gwdg.de

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Marietta Fuhrmann-Koch idw

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