Rechnung mit vielen Unbekannten: Gentech-Pflanzen, die Pharmazeutika produzieren

Fast eine halbe Million Mikrospiegel trägt dieses mechatronische Bauteil, das seit längerem für Videoprojektionen eingesetzt wird. In einem neuen Messgerät tasten feine Lichtstrahlen Oberflächen berührungslos ab.&nbsp;<br> ©Fraunhofer IPT


Umweltbundesamt plädiert aus Vorsorgegründen für strenge Maßstäbe und Sicherheitsauflagen bei der Freisetzung

Das sogenannte Gene-Farming weckt viele Hoffnungen: Gentechnisch veränderte Pflanzen sollen kostengünstig Pharmazeutika produzieren, zum Beispiel Impfstoffe. In anderen Ländern werden solche Pflanzen schon seit 1991 in Freilandversuchen getestet – in Deutschland noch nicht. Bislang weiß man nur wenig darüber, wie Gene-Farming auf die Umwelt wirkt. Gene-Farming ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Vorsorglich sollten deshalb strenge Maßstäbe für Gene-Farming-Freilandversuche gelten. Für den Anbau im Freiland sollte es klare Vorgaben geben, um Auskreuzungen der gentechnisch veränderten Pflanzen mit natürlichen Arten zu verhindern. Notwendig ist auch ein begleitendes Beobachtungsprogramm, um potenzielle Risiken rechtzeitig erkennen zu können.

Im Auftrag des Umweltbundesamtes hat Andre de Kathen von der Biotec-Consult aus Neustadt bei Hannover das Wissen über den Entwicklungsstand gentechnisch veränderter Pflanzen, die Pharmazeutika oder Diagnostika produzieren, sowie die möglichen Risiken für Mensch und Umwelt zusammengetragen. Die Studie „Gene- Farming: Stand der Wissenschaft, mögliche Risiken und Management-Strategien“ zeigt, dass bei den bisherigen Gene-Farming-Freisetzungen hauptsächlich Nutzpflanzen eingesetzt werden, wie zum Beispiel Kartoffeln, Mais oder Tabak. Hergestellt werden vorrangig Impfstoffe gegen Viren, die für Mensch und Tier schädlich sind sowie Antikörper zu diagnostischen und immuntherapeutischen Zwecken. Circa 90% der Forschung machen private Unternehmen. Bei ungefähr 75% der im Freiland getesteten Pflanzen sind die sicherheitsrelevanten Informationen als vertraulich gekennzeichnet und damit nicht öffentlich zugänglich.

Obwohl bereits seit 1991 gentechnisch veränderte Pflanzen, die diese Art von Produkten herstellen, im Freiland getestet werden, gibt es nur wenige Informationen. Das hat zwei Gründe: erstens die zurückhaltende Informationspolitik der forschenden Unternehmen und zweites, dass es noch keine lizenzierten oder kommerzialisierten Produkte auf dem Markt gibt. Insbesondere fehlen experimentelle Daten zu möglichen spezifischen Umweltwirkungen.

Man weiß nur wenig über die spezifischen Wirkungen der Pharmazeutika-produzierenden Pflanzen im Freiland. Ebenso wenig Daten gibt es zu den Umweltwirkungen des Anbaus herkömmlicher Medizinalpflanzen. Diese könnte man eventuell als Vergleich für eine Bewertung heranziehen. Da überwiegend Nutzpflanzen verwendet werden, mit denen man keine Erfahrungen bei der Verwendung als Pharmazeutikaproduzent hat, fehlen Informationen zum spezifischen, möglicherweise veränderten Verhalten dieser Pflanzen im Freiland. Neben der eigentlichen Wirkung des pharmazeutischen Produktes auf die Umwelt, aus der zum Beispiel ein Risiko für die Insekten, die die Pflanze besuchen, resultieren kann, oder die Möglichkeit der unkontrollierten Weitergabe der Erbinformation über den Pollen an Kreuzungspartner, können auch eine veränderte Proteinstruktur, modifizierte und kryptische Funktionen, indirekte Wirkungen und Re- und Neukombination der Erbinformation zu Problemen führen.

Um die potenziellen Risiken zu minimieren, schlägt der Autor der Studie eine Reihe von Maßnahmen vor: die Wahl geeigneter Pflanzenarten, Produktionssysteme und landwirtschaftlicher Verfahren sowie spezifischer Anbauflächen und -zeiten. Die Zugänge zu den Feldern müssen kontrollierbar sein und die Abstände zu Kreuzungspartnern so groß, dass eine Auskreuzung verhindert wird. Die Verhinderung einer Auskreuzung kann auch bei den Pflanzen selbst ansetzen, zum Beispiel durch Verwendung von männlich sterilen Pflanzen, die keine Pollen produzieren. Wichtig ist eine kontinuierliche Kontrolle des Anbaus im Freiland, auch nach der Ernte, um mögliche Wirkungen feststellen zu können.

Die Studie „Gene-Farming: Stand der Wissenschaft, mögliche Risiken und Management-Strategien“ ist in der Reihe UBA-Texte als der Nr. 15/2001 erschienen, umfasst 108 Seiten und kostet 15 ,- DM. Die Studie enthält eine umfassende englischsprachige Zusammenfassung. Sie kann bei der Firma Werbung und Vertrieb, Ahornstraße 1-2, 10787 Berlin gegen Einsendung eines Verrechnungsschecks bezogen werden. Bitte unbedingt TEXTE-Nummer und Namen des Bestellers angeben.

Eine neunseitige Kurzfassung der Studie (nur Papierform) gibt es bei der Pressestelle des Umweltbundesamtes. Sie kann per Fax unter 030/8903-2798 oder per E-Mail bei  jana.schmidt@uba.de bestellt werden.

Weitere Informationen finden Sie im WWW:

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Karsten Klenner idw

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