Forscher der Freien Universität Berlin entdecken neuartiges Lern-Gen

Die Untersuchungen, die im Fachmagazin „Current Biology“ veröffentlicht wurden, könnten auch helfen, die molekularen Prozesse bei Suchtverhalten besser zu verstehen.

Seit 80 Jahren unterscheidet die Wissenschaft zwei Lernformen: das klassische und das operante Konditionieren. Der Begriff der Klassischen Konditionierung wurde von dem russischen Mediziner Iwan Petrowitsch Pawlow geprägt, der seine Hunde so trainierte, dass diese schon auf einen Klingelton mit vermehrtem Speichelfluss reagierten, wenn dieser akustische Reiz regelmäßig der Fütterung vorausging. 20 Jahre später brachte der amerikanische Psychologe Burrhus Frederic Skinner Ratten bei, durch Drücken eines Hebels an Futter zu kommen – und prägte den Begriff der so genannten operanten Konditionierung.

Bisher nahm man an, dass bei beiden Lernformen eine bekannte Gruppe von Lern-Genen eine Rolle spielt. Eine These, die jetzt von den Arbeiten der Berliner Wissenschaftler widerlegt worden ist. Brembs und seine Mitarbeiter am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin untersuchten dafür genetisch veränderte Fruchtfliegen, mit denen sie Lernexperimente in einem Flugsimulator durchführten.

Im ersten Versuch wurde der Behälter, in dem sich die Fliegen befanden, mal in blaues und mal in grünes Licht getaucht. Bei Blau erhielt die Fliege zusätzlich einen für sie unangenehmen Hitzereiz – mit dem Ergebnis, dass sie der Farbe blau zu entfliehen versucht.

In einem weiteren Versuch wurde die Farbe blau mit dem Hitzereiz immer dann ausgelöst, wenn sich die Fliege nach rechts dreht. Das heißt, ähnlich wie im Rattenversuch von Skinner kann die Fliege aktiv erlernen, sich in einer bestimmten, für sie vorteilhaften Weise zu verhalten – nämlich ihren Körper nach links zu drehen und damit vom Hitzereiz verschont zu bleiben.

In einem dritten Versuch testeten die Wissenschaftler schließlich das rein operante Lernen (Verhaltenslernen). Dafür verzichteten sie auf den äußeren Reiz, also die Farben. Heiß wurde es für die Fliege nur, wenn sie ihren Körper nach rechts drehte.

Während Fliegen, bei denen die Gruppe der bekannten Lerngene verändert worden war, bei den ersten beiden Versuchen kläglich scheiterten, zeigten sie sich im dritten Versuch alles andere als dumm: Sie lernten sogar besser als ihre normalen Artgenossen.

Bisher sei angenommen worden, dass alle Formen des assoziativen Lernens durch die bekannten Lerngene bestimmt werden, sagt Brembs: „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die prominenten Lerngene beim reinen Verhaltenslernen aber keine Rolle spielen. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass das Pawlowsche Reflex-Lernen das reine Verhaltens-Lernen unterdrückt.“

Allerdings scheiterten genveränderte Fliegen, bei denen das Enzym „Proteinkinase C“ gehemmt war, beim reinen Verhaltenslernen im dritten Versuch. Sie zeigten dort keinen Lerneffekt. Dafür lernten sie in den beiden anderen Versuchen sehr wohl. Brembs nimmt an, dass der operante, Proteinkinase C-abhängige Lernmechanismus dem so genannten Gewohnheitslernen zugrunde liegt, das auch beim Suchtverhalten eine Rolle spielt. Sollte das so sein, ließe sich die Entstehung einer Sucht möglicherweise dadurch verhindern, dass die Produktion des Enzyms „Proteinkinase C“ bei diesen Menschen durch entsprechende Medikation gehemmt wird.

Ob die molekularen Lernmechanismen, die Brembs in den Fliegen gefunden hat, auch auf Säugetiere und möglicherweise sogar den Menschen übertragbar sind, lässt sich derzeit aber nicht sagen. „Dafür sind entsprechende Tests bei Mäusen oder Ratten erforderlich.“

Nähere Auskünfte erteilt Ihnen gern:

Björn Brembs
bjoern@brembs.net, http://brembs.net
Institut für Biologie – Neurobiologie
Freie Universität Berlin
Königin-Luise-Strasse 28/30, 14195 Berlin, Germany
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Christa Beckmann idw

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