Winzlinge im Windkanal

Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster ist eine Akrobatin der Lüfte. Doch was befähigt das winzige Insekt zu seinen erstaunlichen Flugkünsten? Am Institut für Neuroinformatik der Universität und der ETH Zürich haben Forschende mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) eigens einen Windkanal zum Flugsimulator aufgerüstet, mit dem Ziel, die physiologischen Grundlagen des flinken Fliegenflugs zu entschlüsseln.

Die Beobachtung der natürlichen Bewegungsabläufe von Tieren in einem kontrollierten Umfeld ist sowohl für die Neurobiologie, als auch die Ingenieurwissenschaften ein lohnendes Forschungsgebiet. Ein detailliertes Verständnis davon, wie Gehirn und Bewegungsapparat eines Lebewesens Reize verarbeiten, um geeignet darauf zu reagieren, eröffnet der Mikrorobotik neue Perspektiven und erlaubt Rückschlüsse auf neuronale Kontrollmechanismen, die sich im Verlauf der Evolution bewährt haben. Der reflexgesteuerte Flug der Fruchtfliege bietet dazu ein ausgezeichnetes, weil experimentell zugängliches Modell. Drosophila melanogaster ist in der Lage, durch blitzschnelle und fein dosierte Veränderungen ihres Flügelschlags das eigentlich instabile Flugverhalten ihres winzigen Körpers präzise zu kontrollieren.

Kontrolliert gegen den Wind

Um die Geheimnisse der Flugfähigkeit des nur knapp 2,5 Millimeter langen Insekts zu erkunden, hat ein Forscherteam unter der Leitung des Biologen Steven Fry am Institut für Neuroinformatik der Universität und der ETH Zürich mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) einen Windkanal konstruiert, in dem der freie Flug von Drosophila unter kontrollierten Bedingungen mit einem „Echtzeit-Tracking-System“ verfolgt werden kann.

Gleichzeitig wird die Fliege von der Seite mit einer Hochgeschwindigkeitskamera gefilmt, um die Flügelbewegungen und Körperorientierung im selben Zeitraum detailliert aufzuzeichnen. Um sicherzustellen, dass die Probanden in der Versuchsanordnung auch motiviert sind, gegen den Wind zu fliegen, wird der mit 0,3 Meter pro Sekunde verwirbelungsfrei durch den Windkanal säuselnde Luftstrom mit einem für die Fruchtfliegen unwiderstehlichen Essigduft „parfumiert“; so steuern die Fliegen Richtung der vermeintlichen Futterquelle.

Ob und wie schnell sich Drosophila beim Flug gegen den Wind vorwärts bewegt, kontrolliert der Winzling auch im Windkanal mit den Augen. „Die Fliege berechnet ihre Geschwindigkeit anhand der Muster, die an ihrem Gesichtfeld vorbeiziehen“, erklärt Steven Fry. Um diesen „optischer Fluss“ genannten Sinneseindruck zu kontrollieren, haben Fry und sein Team ihren Windkanal durch seitliche Projektionsflächen zu einem Flugsimulator aufgerüstet. Über diesen künstlichen Horizont können die Forscher nach Belieben breitere oder schmalere Hell-Dunkel-Muster laufen lassen und so den Fruchtfliegen unabhängig von ihrem realen Flugtempo unterschiedliche Geschwindigkeiten vorgaukeln. In der komplexen Versuchsanordnung messen zwei Video-Kameras den dreidimensionalen Flug der Insekten, während der virtuelle optische Fluss automatisch gesteuert wird.

Geschwindigkeitssteuerung durch optischen Fluss

Erst diese Entkoppelung des „Autopiloten“ der Fliegen von ihrer realen Bewegung erlaubte den Forschern eine isolierte Analyse der Leistungsfähigkeit der Bewegungskontrolle von Drosophila. „Wir konnten dieses ambitionierte Forschungsvorhaben nur durch die Kombination mehrerer Hochleistungstechnologien realisieren“, betont Steven Fry. Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher fest, dass das Sehsystem der Fliege visuelle Reize äusserst komplex verarbeitet, die Geschwindigkeit aber dennoch mit einer verblüffend einfachen Strategie steuert.

Und zwar ist die Beschleunigung der Fliege genau proportional zum wahrgenommenen optischen Fluss. Um zu beschleunigen, ändert Drosophila ihre Körperlage ähnlich einem Helikopter, wofür zusätzlich mechanische Sinnesreize über die Körperbewegung verarbeitet werden müssen. Diese Mechanismen werden genauer untersucht, indem die Fliege von der Seite mit einer 1000Hz-Hochgeschwindigkeitskamera gefilmt wurde, die in der Lage ist, die Flügelbewegungen und Körperlage im Detail aufzulösen.

Ziel der Verhaltensstudie im Flugsimulator ist jedoch letztlich die Entschlüsselung der neuronalen Grundlagen für den Fliegenflug. In transgene Fruchtfliegen werden gezielt DNA-Sequenzen eingeschleust, die bestimmte Nervenzellen des Sehsystems ausschalten. Die Forscher können dann bestimmen, welche Rolle die genetisch veränderten Zellen für die korrekte Verarbeitung des optischen Flusses im Fliegenhirn spielen. Erste Resultate der Versuche mit transgenen Fruchtfliegen will das Team von Steven Fry noch in diesem Jahr publizieren.

Kontakt:
Dr. Steven N. Fry
Institut für Neuroinformatik
Universität/ETH Zürich
Winterthurerstrasse 190
CH-8057 Zürich
Tel: +41 (0)44 635 30 45
Fax: +41 (0)44 635 30 53
E-Mail: steven@ini.phys.ethz.ch

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