Kein Häuten der Zwiebel

Viren, hölzerne Pferdchen und sonstige Spione. Dass man ohne Spuren zu hinterlassen durch das Internet surfen kann, gehört längst in das Reich der Märchen. Doch auch ohne solche Schädlinge ist beinahe jeder Schritt im Netz nachzuvollziehen, etwa durch die IP-Adresse, die jeden Computer identifizierbar macht. Jeden? Nein. Ein Anonymisierungsnetzwerk mit dem Namen „The Onion Router“ (Tor) verhindert den Nachvollzug, verspricht dem „User“, er könne wie ein Geist durch das Netz schweben. Und das ist beinahe todsicher. So weit, so schön für den User. Aber welche Konsequenzen hat das? Und wie funktioniert es genau?

Positive und negative Szenarien

Karsten Loesing, Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Praktische Informatik der Universität Bamberg, zeichnet gute und schlechte Szenarien, was mit Tor alles anzustellen ist. Die guten Szenarien: ein kritischer Journalist in Iran kann mithilfe von Tor internationale Seiten besuchen und sich informieren, er kann sogar selbst ein Forum erstellen und Beiträge posten. Ein Menschenrechtler in China kann auf Missstände hinweisen, ohne verfolgt werden zu können. Menschen in Deutschland mit – so die zynische Bezeichnung – „nicht gesellschaftsfähigen Krankheiten“ wie AIDS können sich sicher und anonym austauschen, ohne eine weitere Stigmatisierung fürchten zu müssen. Das gilt auch für Vergewaltigungsopfer. „Aber das ist nur die eine Seite der Medaille“, sagt Loesing. Die Kehrseite ist, dass sich natürlich auch Kriminelle, die im Internet ihren illegalen Aktivitäten nachgehen, über Anonymität im Netz freuen. Auch hier sind viele Fälle denkbar, etwa Wirtschaftsspionage oder einfach das Auskundschaften privater Daten von unbedarften Internetnutzern. Das gilt jedoch übrigens kaum für das File-Sharing, denn der Einsatz des „Zwiebel-Routers“ verlangsamt das Surfen doch merklich.

Aber was ist Tor denn nun? Ein Freifahrtsschein für böse Menschen, oder eine echte Chance für bedrohte Gutmenschen?

Die Funktionsweise des kostenfreien Open-Source-Projekts ist auch Laien verständlich, zumindest das grobe Prinzip, das genial einfach wirkt. Wenn ein Internetnutzer eine Seite, etwa google.de ansteuert, wird er normalerweise direkt mit dem anderen Server verbunden, der alle wichtigen Daten aufzeichnet. Benutzt der User Tor, wird er über drei weitere Server, die zum Teil im Ausland liegen können, umgeleitet. Der Clou: bereits der zweite Knotenpunkt weiß nicht mehr, woher das ursprüngliche Signal kam, er kennt nur die IP-Adresse des letzten Servers. Gleichermaßen erfährt erst der letzte Knotenpunkt in der Reihe, an wen die Anfrage gerichtet ist. Ein Nachvollzug wird so unmöglich gemacht, insgesamt arbeitet Tor mit nahezu 1000 Knotenpunkten: Es gibt kein Häuten der Zwiebel mehr.

Ähnlich funktioniert auch das Erstellen eigener Dienste und Blogs im Internet mithilfe von Tor. Karsten Loesing arbeitet im Rahmen seiner Doktorarbeit an diesen anonymen Diensten (hidden services), welche die Sicherheit für Nutzer erheblich erhöhen können. An Rendezvous-Punkten treffen sich die Benutzer, ohne eine direkte Verbindung einzugehen. Für bestimmte Berufsgruppen kann es, wie gesehen, lebenswichtig sein, dass Aktivitäten in Foren und sonstigen Diensten nicht nachzuvollziehen sind.

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Dr. Martin Beyer idw

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