Auf der Suche nach unsichtbaren Molekülen

Die Zusammenarbeit mehrerer WissenschafterInnen kann zu einem weitreichenderen Verständnis von neuartigen, chemischen Reaktionen führen. Copyright: Nuno Maulide Gruppe

Die Erforschung und Entwicklung von neuen, umweltfreundlichen chemischen Reaktionen ist wichtig für unsere Gesellschaft. Nachhaltige Chemie kann eine sichere Produktion von Chemikalien gewährleisten – ganz gleich ob Pharmazeutika, Kosmetika, Agrochemikalien oder neue Materialien für beispielsweise Solarzellen oder Textilien – und dabei unseren Lebensstandard erhalten oder sogar verbessern.

Die Arbeitsgruppe um Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Universität Wien, beschäftigt sich seit einigen Jahren mit solchen umweltfreundlichen (sogenannten „atomökonomischen“) Reaktionen. Für seine Forschung hat Maulide einen prestigeträchtigen ERC Consolidator Grant des European Research Councils zuerkannt bekommen.

„Das VINCAT-Projekt befasst sich mit der Entwicklung von einer Reihe verwandter Reaktionen, die neue Kohlenstoffbindungen knüpfen, ohne dass dabei Abfall- oder Nebenprodukte entstehen“, so der portugiesische Wissenschafter: „Das gelingt uns durch den Einsatz neuartiger, energiereicher Vinyl-Kationen als Zwischenprodukte“.

Moleküle, die wir nicht sehen

Um den vermuteten Reaktionsverlauf zu bestätigen und mehr über die Zwischenstufen der Reaktionen zu erfahren, suchten die ForscherInnen nach einem Weg, die Zwischenprodukte der Reaktionen nachzuweisen. „Das Problem ist die extrem kurze Zeit, in der diese energiereichen Zwischenprodukte existieren – sie reagieren innerhalb von Sekundenbruchteilen“, erklärt Immo Klose, Coautor der Studie.

Die Zusammenarbeit mit einer Gruppe der brasilianischen Universität UNICAMP, die ExpertInnen auf dem Gebiet der Detektion von energiereichen, geladenen Zwischenprodukten durch Massenspektroskopie sind, brachte schließlich den gesuchten Beweis. „Um die Ergebnisse der Massenspektroskopie mit einem berechneten Reaktionsverlauf zu vervollständigen, wandten wir uns an unsere KooperationspartnerInnen aus der theoretischen Chemie“, sagt Maulide.

„Hochpräzise Berechnungen bestätigten die Struktur und den Verlauf der Reaktion“, sagt Boris Maryasin, Erstautor der Studie und Postdoc von Leticia González am Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien. „Aber noch wichtiger ist, dass die theoretischen Modelle oft Vorhersagen über die Reaktivität noch unerforschter Reaktionen ermöglichen: Sobald wir verstehen, wie die Reaktion genau abläuft und die experimentellen Ergebnissen erklären können, ist es oft auch möglich, darüber hinaus Voraussagen über neue Reaktionen zu machen“.

Nicht zuletzt durch das so gewonnene Verständnis ist es dem Team gelungen, eine weitere, neuartige Umlagerungsreaktion zu entwickeln, die einen eher untypischen Verlauf nimmt. „Um einen Blick auf das Unsichtbare zu bekommen, benötigt es viele BeobachterInnen, die dieselbe Sache aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Diese Studie hat uns vor Augen geführt, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Wissenschaft ist“, so Maulide abschließend.

Publikation in „Chemical Science“
„Unusual Mechanisms in Claisen Rearrangements: an Ionic Fragmentation leading to a meta-Selective Rearrangement“: Boris Maryasin, Dainis Kaldre, Renan Galaverna, Immo Klose, Stefan Ruider, Martina Drescher, Hanspeter Kählig, Leticia González, Marcos Eberlin, Igor Jurberg und Nuno Maulide
in: Chemical Science, 2018.
DOI: 10.1039/c7sc04736c

Diese Publikation wurde als Open Access veröffentlicht. Sie ist unter folgendem Link abrufbar:
http://pubs.rsc.org/en/content/articlehtml/2018/sc/c7sc04736c

Media Contact

Stephan Brodicky Universität Wien

Weitere Informationen:

http://www.univie.ac.at/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Wie die Galvanotechnik durch Digitalisierung effizient wird

SurfaceTechnology GERMANY… Digitalisierung und Hartverchromung aus Chrom(III)-Elektrolyten: Das sind die beiden großen Themen, mit denen sich Forscherinnen und Forscher von der Abteilung Galvanotechnik am Fraunhofer IPA derzeit beschäftigen. Ihre Erkenntnisse…

Ersatz für Tierversuche – jetzt ganz ohne Tierleid

Erstes Gewebe-Modell der Leber völlig ohne Materialien tierischer Herkunft hergestellt. Wissenschaftler*innen der TU Berlin haben mit Hilfe von 3D-Biodruck erstmals ein Modell der Leber aus menschlichen Zellen hergestellt, ohne dabei…

Neue Wege zur mentalen Gesundheit

Magnetspule am Kopf sorgt für antidepressive Effekte… In der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) wird derzeit eine Studie zur Erforschung der antidepressiven Wirkung einer…

Partner & Förderer