Sicherungsverwahrung mit schwierigen Problemen verbunden

Die strafrechtliche Sanktion der Sicherungsverwahrung, durch die gefährliche Straftäter auch noch nach dem Ende ihrer Freiheitsstrafe in Haft gehalten werden können, ist mit einer Vielzahl tatsächlicher und rechtlicher Probleme behaftet.

Zu diesem Ergebnis kommt eine neue am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg begonnene und an der Eberhard Karls Universität Tübingen abgeschlossene Studie über „Die Legalbewährung gefährlicher Straftäter“.

Im Zentrum des Forschungsprojekts steht eine Analyse der kriminellen Karrieren von rund 500 gefährlichen Straftätern, von denen die Mehrheit vorwiegend in den 80er Jahren neben einer längeren Freiheitsstrafe zu Sicherungsverwahrung, ein weiterer Teil nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Jörg Kinzig, Strafrechts-Professor an der Universität Tübingen, ist der Frage nachgegangen, wie sich das Schicksal dieser Personen in den letzten Jahren entwickelt hat.

Die Untersuchung liefert Hinweise darauf, dass die Gefährlichkeit von zu Sicherungsverwahrung verurteilten Personen deutlich überschätzt wird. So wurde bei fast der Hälfte (49,8%) der untersuchten Probanden die Sicherungsverwahrung schon einmal zur Bewährung ausgesetzt. Die Mehrheit dieser Personen bewährte sich in Freiheit. Nur bei rund einem Drittel (35,1%) musste die Aussetzung der Sicherungsverwahrung widerrufen werden, wobei dies nicht immer auf die Begehung neuer Straftaten zurückzuführen war.

Für eine deutliche Überschätzung der Gefährlichkeit Sicherungsverwahrter spricht zudem der Umstand, dass von 22 Personen, die aus formal-rechtlichen Gründen in Freiheit entlassen werden mussten, obwohl sie als gefährlich angesehen wurden, bis zum Untersuchungszeitpunkt nur acht (rund ein Drittel) rückfällig wurden. Von diesen acht als gefährlich begutachteten Personen wurden lediglich zwei mit einem schweren Raub und einer schweren Brandstiftung in einem gravierenden Maße erneut straffällig.

Wenn aber ein beträchtlicher Teil oder gar die Mehrheit der Sicherungsverwahrten, gar nicht schwer rückfällig würden, entließe man sie nach ihrer Freiheitsstrafe, ist dieser Umstand nach Ansicht der Wissenschaftler geeignet, die Legitimation der Sanktion Sicherungsverwahrung generell infrage zu stellen.

Ethisch problematisch ist nicht zuletzt der Umstand, dass ein anderer kleiner Teil der Sicherungsverwahrten zwischenzeitlich in den Gefängnissen verstorben ist, die Strafanstalten aber auf ein menschenwürdiges Versterben in Unfreiheit nur unzureichend vorbereitet sind.

Die gefundenen Ergebnisse sind vor allem deswegen von großer Bedeutung, weil der Gesetzgeber in den vergangenen zehn Jahren die Möglichkeit Sicherungsverwahrung anzuordnen, erheblich ausgeweitet hat, zuletzt durch die Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht.

Die Untersuchung liegt in Buchform vor:
Jörg Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung des Rechts der Sicherungsverwahrung. 368 Seiten; Berlin, 2008.
Nähere Informationen:
Prof. Dr. Jörg Kinzig, Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht, Juristische Fakultät, Wilhelmstr. 7, 72074 Tübingen,
Tel.: (07071) 2972549, Fax: (07071) 295258,
E-Mail: kinzig@jura.uni-tuebingen.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen

Hier bietet Ihnen der innovations report interessante Studien und Analysen u. a. aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Medizin und Pharma, Ökologie und Umwelt, Energie, Kommunikation und Medien, Verkehr, Arbeit, Familie und Freizeit.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer